Montag vor 75 Jahren 1944: Ein Tod im Gefängnis der Gestapo
Ratingen. · Der Düsseldorfer Josef Volk nahm sich vor 75 Jahren in der Ratinger Gestapo-Haft aus Verzweiflung das Leben: Nach mehr als drei Wochen Haft ging seine Kraft zu Ende.
Die Zeit zwischen Juni 1943 und dem Winter 1944/45 kann als der Tiefpunkt der Ratinger Stadtgeschichte gelten: Weil die Geheime Staatspolizeileitstelle Düsseldorf, nach Berlin die personalstärkste Gestapo-Stelle im Reich, in ihrem Standort in Pempelfort ausgebombt wurde, requirierte das Reichssicherheitshauptamt das ehemalige Lehrerseminar an der
Mülheimer Straße.
Viele Beamte nahmen sich Wohnungen in der Innenstadt, andere pendelten mit der Straßenbahnlinie 12. Auf dem Hof wurden Baracken aufgestellt, umfangreiche Personenakten wurden herbeigeschafft, der Umzug von Düsseldorf zog sich über Wochen. Der Historiker Uwe Kaminsky hat diese Phase schon 1991 ausführlich beschrieben („Ratinger Forum“, Band 2). Improvisiert und hektisch waren diese letzten Monate. Auch wenn niemand über die bevorstehende Befreiung und die Niederlage Nazideutschlands sprechen durfte: Alle Gestapo-Mitarbeiter waren sich über den Lauf der Dinge im Klaren. Das Regime torkelte auf sein Ende zu.
Denunziert und verhaftet wegen „kriegsfeindlicher Äußerungen“
Und dennoch – oder gerade deshalb – hielt sich die Gestapo bis zur letzten Möglichkeit an den Terror, der ihr seit Gründung 1933 so eigen war. In der Endphase des Krieges kam es immer mehr und immer häufiger zu willkürlichen Exekutionen, Massenerschießungen im Großraum Rhein-Ruhr. Am bekanntesten sind das Massaker an der Wenzelnbergschlucht (Solingen) oder im Rombergpark (Dortmund) und die Erschießungen von Zwangsarbeitern im Kalkumer Forst (Düsseldorf/Ratingen). Auch die Deportationen der restlichen, noch verbliebenen Juden wurden bis zuletzt durchgeführt: Neben einem großen Transport vom 17. September 1944 aus der ganzen Region über den Güterbahnhof Derendorf gab es noch „Evakuierungen“ von Einzelpersonen bis Ende Januar 1945! Dienstellenleiter war seit Ende September der Oberregierungsrat und SS-Obersturmbannführer Hans Henschke. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt von Paris aus Jagd auf die Juden Frankreichs gemacht – jetzt residierte er als Gestapo-Chef in Ratingen.
„Von Ratingen aus hat manch einer seinen letzten Gang angetreten“, so schrieben Nazigegner später. „Mit 17 Mann in einer Zelle, die sonst für drei schon zu eng war, vegetierten hier Häftlinge aller Nationen auf nackter Erde, ohne Handtuch oder Decke, ständig aufgeschreckt durch grauenhafte Schläge und Schreie bei den Folterungen, die Tag und Nacht stattfanden.“
Einer dieser Gefangen war Josef Volk. Der Mann war 1882 in Spay im Landkreis Mayen zur Welt gekommen. In Düsseldorf lebte er am Karlshof 25 und verdingte seinen Lebensunterhalt als Kranführer im Oberbilker Stahlwerk. Politisch stand er der KPD nahe – die Kommunisten allerdings agierten seit 1933 nur noch im Untergrund und in der Illegalität. Er wurde wegen „kriegsfeindlicher Äußerungen“ denunziert und verhaftet.
Am 21. September 1944 – zu dieser Zeit hatten sich die US-Amerikaner bereits fast bis zur Reichsgrenze vorgekämpft, Aachen wurde am 21. Oktober befreit – nahm die Gestapo, Abteilung IV 1 a („Kommunismus“), Josef Volk in „Schutzhaft“. Das war der Tag, an dem er in das alte Polizeigefängnis an der Wiesenstraße eingeliefert wurde. Seine dortige Haftzeit, in der er ständig der Gestapo zu Verhören „zur Verfügung“ stand und wohl auch den „verschärften Vernehmungen“ ausgesetzt war, ist in einem Polizeihaftbuch dokumentiert, das sich heute im Kreisarchiv Mettmann befindet. Als „einliefernde Behörde“ wurde dort immer seltener die reguläre Ratinger Polizei vermerkt, dafür aber immer häufiger und am Schluss nahezu ausschließlich die „Gestapo-Leitstelle Düsseldorf“.
Die meisten Gefangenen der Wiesenstraße waren in der zweiten Kriegshälfte politisch oder „rassisch“ Verfolgte der Gestapo: Zwangsarbeiter, Juden, „Wehrkraftzersetzer“ oder „Meckerer“, die nicht mehr an den „Endsieg“ glauben mochten. Die Geheime Staatspolizei hat zu Josef Volk keine ihrer berüchtigten Akten mehr angelegt: Im Herbst 1944 war die Behörde bereits in einen panischen Auflösungsprozess geraten. Und dennoch wurden Gegner des NS-Regimes bis zum letzten Tage drangsaliert, misshandelt und ermordet.
Am 14. Oktober 1944 starb Josef Volk im Marienkrankenhaus
Dem Registerbuch entnehmen wir, dass Josef Volks Haft bis zum Morgen des 14. Oktober 1944 dauerte. Dies ist der Tag, an dem der Kranführer starb. Seiner Sterbeurkunde aus dem heutigen Ratinger Stadtarchiv entnehmen wir, dass er sich mittels „Durchschneiden der Kehle mit dem Rasiermesser“ in suizidaler Absicht schwer verwundete, zum Marienkrankenhaus an der Oberstraße geschleppt wurde, wo er dann um sechs Uhr morgens seinem Blutverlust erlag.
Ob der Ratinger Standesbeamte diese Urkunde Nummer 376/1944 fälschte und nach den Wünschen der Gestapo-Männer ausfüllte oder ob die Angaben der Wahrheit entsprechen, ist nicht mehr zu ermitteln.
Ein Möbelschreinermeister von der Lintorfer Straße musste immer wieder einfache und schmucklose Holzsärge zum Hof des alten Lehrerseminars liefern – und dann verschwinden. Die Durchschläge seiner Rechnungen an die Gestapo haben sich erhalten. Einsargen und die Leichen sehen durfte der Schreiner, der seinem Beruf entsprechend auch Bestatter war, nicht. Die Särge aus einfachstem Weichholz sollten einfach abgestellt werden.
Wo Josef Volk bestattet ist, ist heute unbekannt. Er hinterließ seine Ehefrau Elisabeth, die bis 1989 lebte. Josef Volk sollte bei weitem nicht das letzte Opfer der Ratinger Gestapo bleiben: Bis zur Befreiung im April 1945 folgten ihm noch viele weitere.