Ratingens ältester Fußballer hängt die Schuhe an den Nagel
Für Willi Berkemeyer (74) war nach sechs aktiven Jahrzehnten das letzte Spiel angesagt.
Ratingen. Bis zuletzt wusste Willi Berkemeyer (74) nichts von den Vorbereitungen. Nichts von der All- Star-Truppe mit Freunden und Weggefährten aus sechs Jahrzehnten Ratinger Vereinsfußball. Nichts von den riesigen Transparenten für den Fangzaun vor dem Vereinsheim. Von Würstchen und Bier. Und auch nichts von den Geheim-Kontakten zu seiner Ehefrau Annelie. Die hatte ihm schließlich die Gelb-Rote Karte gezeigt: Es sei Zeit, mit dem aktiven Fußballspiel aufzuhören. Nun machte sich die Gattin Sorgen, ob denn jemand zum Abschied kommen werde. „Da habe ich rumtelefoniert — aber alle waren so merkwürdig zurückhaltend, keiner sagte zu.“
Denn im Zweifel waren sie sowieso für diesen Nachmittag verabredet — an dem Lachen in Weinen und wieder in ein Lachen überging. Als der älteste aktive Fußballer Ratingens, Willi Berkemeyer, am Mintarder Weg ankam und dort von rund 90 Personen per La Ola begrüßt wurde, da schwante ihm: Dieser Spieltag wird kein leichter sein…
Natürlich waren alle da. Die alten Herren des TuS Breitscheid — bis zuletzt Berkemeyers Stamm-Mannschaft, die er im Jahr 1981 mit gegründet hat. In blütenweißen Trikots liefen die All Stars auf. Mit Fußballern des FC Wald und aus den zahlreichen anderen Mannschaften, in denen Berkemeyer kickte. Die letzten zwei Mal 30 Minuten begannen ganz konventionell mit dem Anpfiff des Schiedsrichters.
Ab jetzt machten alle Platz auf dem Platz — für den Ball und den Willi. Zum Endstand von 9:4 für den TuS trug er auf beiden Seiten etwas bei. Doch verlieren mag er nicht. So trieben Berkemeyers Rufe die TuS-Herren immer wieder nach vorn. Der Erste Vorsitzende Dr. Jürgen Bock fühlte sich in seine Flegeljahre zurückversetzt: „Als Jugendtrainer hat er uns immer wieder nach vorn getrieben, immer wieder motiviert.“
Dann, es war gegen 16.45 Uhr, zog die Stadionregie sämtliche Register. Der Schiri pfiff das Spiel vorzeitig ab — und kurz darauf ergoss sich das erste Weizenglas über Berkemeyers Kopf. Zwei Männer in Krokodils- Kostümen stürmten mit Fahnen auf den Platz. Aus den Lautsprechern meldete Trude Herr: „Niemals geht man so ganz…“ Aus einem vermeintlich einfachen Abschiedsspiel wurde eine Gala großer Emotionen. Runde um Runde musste Berkemeyer durch das Spalier der beiden Ehrenmannschaften laufen. Glas um Glas entleerte sich über Haupt und Nacken: „Mensch, lasst uns das Zeug doch lieber trinken“, regte Willi an. Vergebens.
Jeder auf dem Platz wischte sich verstohlen die Tränchen aus den Augenwinkeln. Dem Geehrten versagte am Mikrofon die Stimme. Mitten im Trubel blieb Zeit für ein kurzes Fazit: „Neben Tennis, Tisch-Tennis, Squash und Feldhandball war Fußball mein Lieblingssport“, sagte Berkemeyer.
Der werde heutzutage wesentlich schneller und variantenreicher gespielt als früher. Abends im Vereinsheim gab es Festreden. Berkemeyer bekam eine zehnminütige Diaschau mit Bildern aus seiner Fußballerkarriere, einen Nagel für die Fußballschuhe, ein Trikot mit der Rückennummer 75 und viele, viele Umarmungen. In einer stillen Minute überlegte Willi für sich, was er nächsten Mittwoch machen wird. „Ich glaube, ich komme in Sportsachen zum Platz. Wenn im Training jemand fehlt, kann ich ja immer noch ins Tor gehen.“