Schüler spielen über Leben und Tod
Warum wollen junge Leute sich umbringen? In der Inszenierung „Leben“ geht die Theatergruppe der Martin-Luther-King Gesamtschule auf Spurensuche.
„Alles auf Anfang“, bitten Regina Ewig und Erik Urbaniak. Sonst unterrichten die beiden Lehrer Deutsch und Geschichte beziehungsweise Geschichte und Englisch, in der schuleigenen Theater- AG leiten sie als Regisseure Melissa, Jessica, Marie Fee, Dennis, Jacquline, Laura, Miranda, Antonia und Vladislav an. Die Schüler der Martin-Luther-King-Gesamtschule aus den Jahrgangsstufen 9 bis 13 gehen zurück auf ihre Positionen zu Stühlen und Hockern, fläzen sich in Liegen und Sitzkissen. Als imaginäre Teilnehmer einer Therapiegruppe versuchen sie, Lebensszenen zu rekonstruieren. Situationen, die sechs junge Menschen so fatal belastet haben, dass sie nur noch einen Ausweg sahen: ihren Tod.
„Wir haben sonst immer etwas Lustiges oder Altmodisches gespielt“, erinnert sich Miranda. Die 18-jährige Abiturientin ist zusammen mit ihrer Freundin Laura seit der 8. Klasse in der Theatergruppe aktiv. „Die Frage war, ob wir auch in der Lage sind, so was Schweres zu spielen.“ „Leben“, das auf dem von Peter Haus verfassten Stück „Spur des Phönix“ basiert, handelt von Suizidenten. Traumatisiert davon, gemobbt zu werden, wahlweise dem elterlichen Erfolgsdruck nicht Stand zu halten oder familiär vernachlässigt zu werden, Missbrauch aushalten zu müssen oder aus anderen Gründen das eigene Leben für nicht länger lebenswert zu erachten, finden sich sechs junge Leute in der Gesprächsgruppe von Dr. Weiss wieder. Ein Stück mit Tiefgang, das aber auch von der Energie erzählt, mit dem die Patienten um einen Neustart kämpfen.
„Chris, pass Dich doch mal an!“, „Denk an deine Eltern!“, „Mach Schluss mit der Sache!“, prasseln donnernde Worte von Antonia, Miranda und Jessica in ihren Rollen als angeblich wohlmeinende Familienangehörige auf Dennis ein. Er spielt in der Szene Chris, von dem behauptet wird, homosexuell zu sein und dessen Leben damit zur Hölle wird. „Nimm das Lachen aus der Stimme, sei bösartiger“, fordert Regina Ewig. „Das muss fließender sein, eine einzige Schimpfkanonade.“
„Ich bin sonst so ein Typ, der eher witzig und gut drauf ist“, beschreibt Vladislav (20) sich. Jetzt versucht er, in die Rolle des Pflegers David zu schlüpfen. „Das ist echt nicht leicht, sich in jemand anders zu versetzen.“
Eine Fallhöhe, die auch die anderen Mitspieler deutlich spürten. „Nach den ersten Proben haben wir echt gedacht, wir packen das nicht und müssen uns doch ein anderes Stück aussuchen“, erinnert sich Miranda. Für Jessica (15) auch deshalb, weil es die Konfrontation mit eigenen Erlebnissen bedeutet. „Ich weiß, was es heißt, gemobbt zu werden.“
Bei der Probe allerdings läuft nun alles wie am Schnürchen. Ausgestattet mit einem Minimum an Requisite und Bühnenbild, fließen die Teenager geradezu durch die szenische Anordnung. Das Timing ist nahezu perfekt — und fällt einer dem anderen versehentlich doch mal ins Wort, so tun die Hobby-Darsteller einfach so, als sei es gewollt. „Da muss man mal improvisieren können“, sagt Vladislav.