Ratingen Ratinger können ihre Stadt jetzt erfühlen

Ratingen · Im Frühjahr gaben die Ratinger Jonges bei Künstler Egbert Broerken ein Bronze-Tastmodell der Ratinger Innenstadt in Auftrag. Jetzt wurde es an seinem endgültigen Standort am Marktplatz installiert.

Guido Multhaupt (Jonges), Werner Kabacinski (Stadt), Künstler Egbert Broerken und Edgar Dullni (Jonges, v.l.) mit dem neuen Stadtmodell.

Foto: Achim Blazy (abz)

Ab sofort können sich Ratinger auf einen Spaziergang der besonderen Art machen: Sie können mit den Fingerkuppen an der Stadtmauer entlang streifen, dem Bürgerhaus über das Dach streichen oder Straßen und Gassen verfolgen und so noch so manchen bislang unbekannten Winkel entdecken. Möglich macht das ein bronzenes Tastmodell der Ratinger Innenstadt, das seit Mittwoch an der Gabelung Brunostraße und Oberstraße steht.

„Eines dieser Modelle ist uns auf einem Ausflug nach Münster begegnet“, erinnert sich Edgar Dullni, Baas der Ratinger Jonges. Gemeinsam mit Vizebaas Guido Multhaupt klopfte Dullni die Möglichkeiten ab. Der Standort der Skulptur sollte zentral gelegen sein, musste aber mit der Denkmalbehörde abgestimmt werden. Nachdem schließlich das Okay aus dem Innenstadtbüro gekommen war, dass der Ratinger Verfügungsfonds einen Teil der Kosten für das Modell übernimmt, konnte der Künstler Egbert Broerken kontaktiert werden.

Broerken hat schon einmal in Ratingen Spuren hinterlassen. Er fertigte das Rathausmodell in der Minoritenstraße, das ebenfalls zum Ertasten einlädt. „Um ein Modell anzufertigen, habe ich jedes einzelne Haus von allen Seiten fotografiert“, erklärt der Künstler. Als Basis für die späteren Stadtansichten – insgesamt stammen rund 240 Tastmodelle weltweit aus der Hand des Künstlers – dienen Pläne des Katasteramtes.

Mithilfe der Brailleschrift erfahren Sehbehinderte, um welche Gebäude es sich handelt - hier die evangelische Stadtkirche. 

Foto: Achim Blazy (abz)

Die Fertigung im sogenannten Wachsausschmelzverfahren ist aufwändig. „Aus Kunststoff wird eine Form geschnitzt, die schließlich in Silikon abgeformt wird“, erklärt Broerken. Diese wiederum wird mit Wachs ausgepinselt. Jetzt werden erste Feinheiten, zum Beispiel die Brailleschrift, herausgearbeitet. Die gesamte Form muss nun in Schamott ausgeschmolzen werden und etwa zehn Tage aushärten. Erst dann wird die Negativform mit Bronze gefüllt. Zu guter Letzt wird das Metall durch eine spezielle Beschichtung geschützt. Alles in allem braucht Broerken, der in seinem Atelier mit seinem Sohn zusammenarbeitet, ein dreiviertel Jahr, bis die Miniaturstadt steht.

Das Modell ist nicht nur optisch ein Kleinod. Es erfüllt durchaus einen Zweck. Worauf es ankommt, hat Broerken in enger Zusammenarbeit mit der Blindenschule Soest gelernt. Damit Blinde und Sehbehinderte ihre Stadt erfassen können, muss das Modell maßstabsgetreu sein. Erst so lassen sich Höhen und Größenordnungen einschätzen. Darüber hinaus ist die Skulptur exakt an den Himmelsrichtungen ausgerichtet und kann für Sehbehinderte so als tastbarer Stadtplan fungieren.

Doch auch Sehende können ihre Stadt jetzt aus ganz neuen Perspektiven entdecken. Sie erhalten eine einzigartige Sicht von oben auf Gebäude und Plätze. Anfassen ist übrigens ausdrücklich erlaubt. „Stellen, die häufig berührt werden, schimmern nach einer Weile goldfarben“, so der Künstler.

Bis Freitag ist die Bronze allerdings nur aus gehörigem Abstand zu betrachten. Mitarbeiter der Stadt Ratingen passen in den nächsten Tagen die Pflasterung rund um das Modell an und verfugen die Zwischenräume neu. Pünktlich zum Wochenmarkt sollen die Absperrgitter entfernt werden. Dann dürfen die Ratinger Bürger ihre Innenstadt neu entdecken. An einer Stelle ist der Künstler seiner Zeit übrigens schon voraus: Die Wallhöfe sind bereits abgebildet. Und sollten weitere Bauvorhaben erfolgen, dann kann das Modell noch erweitert werden.