Wülfrath Der Brexit hat Wülfrath erreicht
Wülfrath · Rita Bondsfield hat einen britischen Pass, ihre Familie und Freunde leben in England, sie leitet eine Schule für die englische Sprache. Was der Brexit für sie bedeutet.
. In Rita Bondsfields Brust schlagen zwei Herzen: Eines für ihren Heimatort Wülfrath, ein weiteres für ihre zweite Heimat England. Die gebürtige Kalkstädterin hat in England studiert und gearbeitet, verliebte sich auf der Insel und hat auch heute noch einen englischen Pass. Mit wachsendem Unverständnis beobachtete Rita Bondsfield von Deutschland aus, dass sich die Briten beim Referendum für den Austritt aus der Europäischen Union aussprachen, auch nach unzähligen inländischen Diskussionen keine Kehrtwende in dem Vorhaben eingeschlagen wurde. „Der Brexit ist ein Produkt der Medien im Land“, ist sich die Sprachdozentin sicher. Boris Johnson, Premierminister der Briten, startete seine Karriere selbst als Journalist und sprach sich in seiner Kolumne stets gegen die EU-Zugehörigkeit aus. „Seine Stimmungsmache kam bei den Menschen gut an. Auch andere Medien sind darauf aufmerksam geworden“, erinnert sich Rita Bondsfield. „England ist eine Nation der Zeitungsleser. Und so wurde der Brexit immer weiter vorangetrieben.“ Die Fronten im Land sind verhärtet. „Sogar innerhalb von Familien gibt es deutliche Meinungsunterschiede. Der Brexit spaltet das Land“, beobachtet Rita Bondsfield von außen. Deutschen Freunden, die im Süden Englands wohnen, wurde das Haus beschmiert. Eine Tat, die auch Fassungslosigkeit in Wülfrath hervorruft. „Der Brexit ist in meinen Augen eine Legalisierung von Hassausbrüchen.“
Doch wie geht es für England nach dem Brexit weiter? Eine Frage, die aktuell noch niemand genau beantworten kann, das Austrittsabkommen ist bis heute nicht klar definiert. „Die Menschen im Land sind verunsichert, haben teilweise sogar Angst“, ist sich Rita Bondsfield sicher. Und auch sie selbst macht sich Sorgen um die Zukunft. Ihr Sohn ist Brite, lebt aber in Deutschland. „Wir fragen uns natürlich, wie es mit seiner Aufenthaltsgenehmigung aussieht“, berichtet die Wülfratherin.
Die Unsicherheit zieht noch größere Kreise. Die Unternehmerin hat in den vergangenen Jahren Sprachreisen angeboten. „Damit werde ich jetzt erst einmal pausieren“, sagt Rita Bondsfield. In ihrem kleinen Englischladen, der ihrer Sprachschule angeschlossen war, verkaufte sie englische Souvenirs, Spezialitäten und andere britische Besonderheiten. Damit ist jetzt auch Schluss. „Einfach Ware nach Deutschland mitnehmen, ist auf Grund der Zollbestimmungen nicht mehr möglich“, erklärt die Wülfratherin ihre Entscheidung. Die letzten Produkte verkauft sie derzeit im Internet, nicht zuletzt um auch der neuen Kassenbonpflicht auszuweichen. Existenzbedrohend ist der Brexit für ihr Sprachunternehmen allerdings nicht. „Ich werde mich vermehrt auf die sprachlichen Dienstleistungen konzentrieren“, versichert die Dozentin.
Anders sieht es in ihren Augen aber bei großen Unternehmen aus. „Besonders die Autoindustrie ist besorgt. England ist ein großer Absatzmarkt für Autoteile.“ Ob sie, wie in den Jahren zuvor, ihre zweite Heimat regelmäßig besuchen kann, steht ebenfalls in den Sternen. Früher führte Rita Bondsfield zwei Haushalte – einen in England, einen in Wülfrath. Mit diesem unbeschwerten Pendeln ist nun offensichtlich Schluss.