Die „Alpen“ vor der Haustür

Der Deutsche Alpenverein nutzt die steilen Felswände des „Bochumer Bruchs“ zum Training.

Wülfrath. Der Weg führt über einen schmalen Trampelpfad. Links ein Zaun, hinter dem die Dieselstraße zur Kruppstraße führt. Rechts Wald und Gebüsch. Noch. Nicht lange, und schon wird aus Wald viel Luft. Der Ausblick in das 16 Hektar große, von Menschen geschaffene Loch ist dafür umso ergiebiger — er flößt Respekt ein. Wer sich hier aufhält, einen Meter vor dem Abgrund des Bochumer Bruchs, hat automatisch geschärfte Sinne.

Vorneweg geht Sixta Görtz, bepackt mit Rucksack, Helm und Seilen. Die 42-Jährige ist Mitglied der „Arbeitsgruppe Bochumer Bruch“ des Deutschen Alpenvereins (DAV). Seit 20 Jahren geht sie dem Hobby nach, Felswände zu bezwingen.

An einer Gabelung bleiben wir stehen. Nach rechts „Drei Zinnen“, nach links „Wand im Osten“ — eine Wahl bleibt nicht. „Bis zum 30. April ist der Weg zu den Zinnen gesperrt. Ein paar Meter weiter brüten meistens die Uhus“, sagt Görtz und zeigt mit dem Finger in Richtung Tal. Der Artenschutz ist dem DAV so wichtig wie das Klettern selbst. Schließlich ist das Gelände Naturschutzgebiet. Die Talsohle darf kein Menschenfuß betreten, nur fünf Prozent des Gebietes werden beklettert. Ornithologen und andere Tierforscher sind regelmäßig da. Es ist unüberhörbar, wie viele Vogelarten sich hier wohlfühlen.

Damit nicht zu viele Menschen kommen, ist die Besucherzahl im Winter auf 20 und im Sommer auf 50 pro Tag begrenzt. Über eine Internetseite kann man sich anmelden, dann bekommt man die richtige Kombination für ein Zahlenschloss am Eingang. Weitere Maßnahmen seien nicht nötig. „Wir haben hier noch nie unangemeldete Personen herumlaufen sehen“, sagt Görtz.

Wir gehen weiter zur „Wand im Osten“. An dem 50 Meter hohen Steilhang, der vor Jahrzehnten durch Sprengungen entstand, sind verschiedene Klettertouren möglich, im gesamten Bruch sind es rund 40. Heute ist die Arbeitsgruppe des DAV beschäftigt, lockere Gesteinsbrocken zu lösen oder Treppenstufen zu erneuern. Auf einem Drittel der eindrucksvollen Wand hängt eine Bergsteigerin im Stein. Sie wird von einem Kameraden gesichert. „Alleine zu klettern, funktioniert nicht. Abseilen ja, aber zum Klettern braucht man jemanden, der mit einem Seil absichert“, erklärt Görtz.

Klettergurt, feste Schuhe, Express-Schlingen und Spezialseile sind Standard. Die Schlingen, die Karabinern ähnlich sind, befestigen die Bergsteiger an den im Stein eingelassenen Haken. Das Seil steckt im unteren Teil der Schlinge und wird vom Partner festgehalten. „Wenn man alles beachtet, ist es ein sicherer Sport“, sagt Sixta Görtz — dann liegt der Reiz vor allem in der enormen Konzentrationsleistung, die vom Alltagsleben ablenkt. „Der Stress fällt ab“, sagt Sixta Görtz. „Man ist in der freien Natur, kann den Stein greifen und fühlen. Und man geht an Grenzen.“