Die Kultur blüht am Tunnel
Gleich zwei Veranstaltungen zogen die Gäste am Mittwochabend zum Hammerstein.
Wülfrath. Die Kultur schaut im wahrsten Sinne des Wortes in die Röhre: Das Areal am Zeittunnel wächst zum kulturellen Zentrum. Die Möglichkeiten stehen offen — Würg-Haus, Tunnel, Freilichtbühne und der Anschluss an den Panoramaradweg geben den Kulturschaffenden Freiräume. Mittwochabend wurde das deutlich, als gleich zwei Veranstaltungen die Gäste zum Hammerstein zogen. Zur Neanderland-Biennale las die Autorin Judith Schalansky im Tunnel, und die Würg hatte das amerikanische Akustik-Duo Richard & Julie eingeladen.
„Ahoi Wülfrath“, begrüßte Judith Schalansky gut 30 Zuhörer, die sich am Tunnelausgang eingefunden hatten. Die 31-Jährige hatte einen außergewöhnlichen Ort für ihre Lesung aus einem eben solchen Buch gefunden. Der Tunnel unterstreiche den Expeditionscharakter ihres Werkes „Atlas der Abgelegenen Inseln“, sagte die Autorin. In Decken und Jacken eingemummelt, lauschten die Gäste teilweise schauerlichen Geschichten über mehr oder weniger verlassene Inseln, aus Originaldokumenten recherchiert.
Da ist zum Beispiel die Rudolfinsel. Minus 50 Grad herrschen auf der unbewohnten Einöde, die 1874 von einer ungarisch-österreichischen Expedition erforscht wurde. Als die Forscher den nördlichsten Punkt erreichten, schließt Schalansky ihre Kurzgeschichte: „Bis hierhin und nicht weiter.“
Oder die Insel St. Kilda, deren Zukunft auf dem Friedhof liegt. Denn zwei Drittel aller Säuglinge starben an einer rätselhaften Krankheit innerhalb von acht Tagen. Die Essays regen zum Nachdenken an, die schummrige Stimmung im Kerzenlicht passte perfekt zu Schalanskys weicher, geheimnisvoller Stimme.
Ebenso stimmungsvoll verlief der Abend nur wenige Meter entfernt im Würg-Haus. In der Akustik-Club-Reihe der Rockmusikergemeinschaft spielten Richard Smith und Julie Adams aus Nashville, Tennessee „Nichts als die nackte Musik“. Abwechslungsreiche Klänge von Blues über Jazz bis Country, mit Wechsel in Tempo und Gefühlslage schwebten durch das mit Samtvorhängen gediegen verkleidete Clubhaus.
Mit einem Beatles-Medley hatte die rothaarige Cellistin Adams und Fingerstlye-Gitarrist Smith, der die Hände in atemberaubender Geschwindigkeit über die Saiten fliegen lässt, das Publikum von Anfang an auf ihrer Seite. „Seems like old times, here with you“, sangen die beiden Musiker im Duett — und man fühlte sich wahrlich, als kenne man sich schon ewig.