Ein Bauernhof mit Gaststätte
„Minna Kern“ war eine legendäre Adresse mit Teich und Tanzmusik. In die Annalen ist auch der Brand von 1967 eingegangen.
Velbert. Es ist der Abend des 28. April 1967, im Birkental östlich der Langenberger Straße, im Schankraum des Lokals „Minna Kern“: Vor vier Monaten hat Gastwirt Panzer das Anwesen erworben und vollständig renoviert. Am nächsten Tag würde er das Ausflugslokal neu eröffnen. So sitzt er mit Freunden und Bewohnern im Gastraum und stößt auf die Zukunft an.
Doch die geht in diesem Moment jäh zu Ende. Plötzlich verlöscht das Licht. Erst auf dem Weg zum Sicherungskasten bemerkt Panzer, wie das Gebälk knistert und sich beißender Rauchgeruch ausbreitet. Der Dachstuhl steht in Flammen. „Die Feuerwehr konnte nichts mehr retten“, heißt es in einem Zeitungsbericht, „zumal der erste Löschwagen auf dem schmalen Waldweg durch ein entgegenkommendes Taxi aufgehalten wurde.“ Der vorläufige Exitus jener Gaststätte, die jahrzehntelang mit diesem Tal verwurzelt war und nach dem Wiederaufbau 1985 endgültig schloss.
Sommer 2012. Mücken und Kohlweißlinge schwirren durch das Sonnenlicht, sanft plätschert der Eselssieper Bach hinab. Nach wenigen Metern jedoch übertönt ihn das Rauschen der alles überragenden Autobahnbrücke, die 1974 in das Birkental zwischen Velbert, Tönisheide und Langenberg gestampft wurde. Ehrenamtliche führen hier die Hunde des nahe gelegenen Tierheims aus, Ordensschwestern der Bleibergquelle nutzen es zum Spaziergang.
Je tiefer man in den Wald geht, umso leiser wird das Rauschen, umso näher kommt man der gastronomischen Legende, die 1908 ihren Anfang nahm. Gegründet von Hugo Kern und seiner Frau Wilhelmine, die alle Minna nannten, später übernommen von den Söhnen: Ewald betrieb den Bauernhof mit Pferden, Kühen und Schweinen im rechten Teil des Hauses, Emil die Wirtschaft in der linken Hälfte. Mit einem Teich, auf dem Kinder im Winter Schlittschuh liefen und im Sommer die Gäste mit Gondeln fuhren.
Er sei mit Wildrosen umringt gewesen, erinnert sich Ursula Jendrysek, die unweit des Gasthauses wohnte: „Als Teenager habe ich immer davon geträumt, mit meinem Freund auf diesem Teich zu rudern.“ Dazu sei es jedoch nicht gekommen. „Zum Freund schon, aber nicht zum Rudern . . .“
Die Gaststätte war ein beliebtes Ziel für Familienausflüge, vor allem in den 1950er-Jahren. „Minna Kern war für uns ein besonderer Name“, erzählt Ursula Libercka, die in Velbert aufgewachsen ist: „Es war für den Sonntagsspaziergang das Weiteste, was man sich als Kind vorstellen konnte. Dort hat man zu zweit eine Flasche Limonade gekriegt.“ Und man konnte der Tanzkapelle lauschen, die schon seit den 1920er-Jahren jedes Wochenende im Garten aufspielte — abends umrahmt von Lampions.
Im „Sonntagsstaat“ sei man unterwegs gewesen, „mit Lackschuhen, weißen Socken und Kleidchen“, erinnert sich Helga Kocksholz, die seit fast 70 Jahren in der Nachbarschaft lebt. „Minna Kern“ war zudem Festlokal des Birkentaler Schützenvereins, der aus dem Gewölbekeller die Bierfässer orderte und Lieder wie „Ich schieß’ den Hirsch im wilden Forst“ intonierte.
Der Teich wird heute als Regenüberlaufbecken genutzt, das Gebäude als Wohnhaus. Es ist ein umweltfreundlicher Gegenpol zur Autobahn: mit Solaranlage auf dem Dach und wuchtigem Kaminholzstapel im Garten. Ein paar Schritte hinauf beginnt es wieder zu rauschen. Audi A3, Nissan Micra, Reisebus Sauerland. Doch wie sagte Oma: Früher war nicht alles besser. Nur früher.