„Frühschichten in der Fastenzeit“: Spirituell und stimmungsvoll
Am Freitag wurde die Reihe „Frühschichten in der Fastenzeit“ in der Kirche St. Joseph gestartet.
Wülfrath. Eine U-Bahn fährt ein. Hastende Schritte klacken auf Steinböden. Die Türen fallen zu. Die U-Bahn fährt los. Ein Pfiff. Durchsagen am Bahnsteig. Stimmen. Menschen sind auf dem Weg zur Frühschicht in dieser Klangcollage, die den Raum zwischen Altar und Kreuz unter der Kuppel der Kirche St. Joseph erfüllt. Nur Kerzen geben Licht. Rund 25 Personen sitzen auf Stühlen im Kreis — ihre Frühschicht in der Fastenzeit, zu der die katholische Gemeinde eingeladen hat.
Es ist kurz vor 6 Uhr. Draußen macht sich der Berufsverkehr auf den Weg, drinnen machen sich Menschen zwischen elf und 93 Jahren auf den Weg zu sich: „Wie viel Aufmerksamkeit schenke ich mir selbst?“, fragt Diakon Michael Anhut in die Runde. Greta Ernst hört zu. Mit ihren elf Jahren ist sie die jüngste „auf Schicht“. Normalerweise, sagt sie, würde sie jetzt noch schlafen. Aber müde sei sie nun gar nicht mehr. Dazu trägt die Atmosphäre in St. Joseph bei. „Wirklich stimmungsvoll.“
Mit Kati Zimmermann, Annelie Hartmann und Christian Schmitz hat Anhut die Frühschicht vorbereitet. „Das ist ein Experiment“, sagt er. Auch wenn man keinem strengen, liturgischen Ablauf folge, sei es ein Gottesdienst. Martin Sträßer habe die Idee zu dieser kleinen Reihe gehabt. „Die Inhalte wurden schließlich virtuell zusammengesetzt: Per Mail haben wir gefundene, aber auch selbst geschriebene Texte ausgetauscht“, sagt Anhut zur WZ.
Herausgekommen sind 36 spannende wie spirituelle Minuten, die sich mit Aufmerksamkeit und Wahrnehmung beschäftigen. „Wir wollen einen Impuls geben“, sagt Anhut. In die Runde zeigt der Diakon schwarz-weiße Bilder. Zwei Sekunden nur, dann werden sie wieder verdeckt. „Manchmal braucht man zehn Sekunden mehr — eben einen zweiten Blick, um zu sehen, ob die erste Wahrnehmung richtig war“, sagt er — und zeigt die Bilder noch einmal: „Ist das Rübezahl oder eine Landschaft?“ Beides ist möglich. Ein flüchtiger Blick hätte diese Erkenntnis nicht erlaubt. Anhut: „Sehen und Erkennen — was für ein Unterschied.“ Auch beim Beurteilen von Menschen dürfe man nicht vorschnell sein: „Lassen Sie sich Zeit — Zeit zum Nachdenken.“
Klang-Collagen, meditative Musik, Gesang zu Anhuts Gitarrenspiel — es ist eine entspannende wie anregende Frühschicht, die der Diakon mit einer Einladung zum Kaffee beendet. Er lächelt still. Das Experiment ist geglückt. Greta geht jetzt mit Geschwistern und Eltern zum Cornelius-Haus — frühstücken. „Ein Brötchen mit Nutella.“ Und dann ab in die Schule. „Mathe“, sagt sie, stehe in der ersten Stunde auf dem Plan. Auch wieder eine Zeit, nachzudenken. . .