Monsieur M.: „Ich will die Nevigeser integrieren“
Für Café-Besitzer Muttalip Avci steht das Gespräch mit seinen Gästen und der Zusammenhalt in der Nachbarschaft an oberster Stelle.
Neviges. In Muttalip Avcis Café wird vielleicht genauso viel diskutiert und philosophiert wie Kaffee getrunken. Das ist kein Zufall. Für den 49-jährigen Türken ist der soziale Austausch die Hauptmotivation gewesen, vor vier Jahren seinen Betrieb am Platz Im Orth zu eröffnen. „Bei mir steht nicht das Café im Mittelpunkt, sondern der Gast selbst“, sagt Avci, der schnell mit seinen Besuchern ins Gespräch kommt und gerne über Werte und Weltanschauung spricht. Egal ist es dabei, ob die Franziskaner-Brüder aus dem Kloster bei ihm Platz nehmen oder Neviges-Blogger Norbert Molitor.
Serie: Im Herzen
von Neviges
Avci, dessen Vater 1968 als Arbeiter nach Deutschland kam, fühlt sich in seiner heutigen Heimat bestens integriert. Jetzt möchte er die Nevigeser integrieren, die bislang nicht so am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Zehn Jahre war er Inhaber eines Feinkostladens in Moers. Dabei habe er erstmals festgestellt: „Viele Deutsche leben nur für sich. Da gibt es Leute, die sehen ihre Verwandten nur zu Geburtstagen und Weihnachten.“ Für Avci ein Kulturschock.
Als er dann in Neviges vor vier Jahren sein „Monsieur M.“ eröffnete, bemerkte er eine ähnliche Tendenz. „Ich habe meine Nachbarn mit einem Tee begrüßt. Da habe ich gemerkt: Viele kennen sich gar nicht untereinander“, sagt der gläubige Moslem. Seither versucht Avci daran zu arbeiten, dass die Nachbarschaft rund um den Platz Im Orth enger zusammenrückt — in seinem Café. „In Neviges kann man viel verändern, weil Neviges so klein ist“, glaubt Avci.
Er mag die Hauptfigur aus der französischen Erzählung „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, den Araber, der viel lächelt, wenig spricht und aus seiner stoischen Ruhe seine Kraft schöpft. Darin erkennt er sich wieder und deshalb heißt sein Café nun auch „Monsieur M.“, nach einem Vorschlag seiner Schwester. „Das bin ich. Monsieur Muttalip“, sagt der Nevigeser und lacht. Wegen des französischen Anklangs und weil Muttalip früher immer mit Hut hinterm Tresen stand, dachten viele Gäste zunächst, es habe sich ein Franzose in Neviges niedergelassen. „Das war ein Vorteil für mich“, sagt Muttalip, der wegen seiner Nationalität auch schon unschöne Begegnungen hatte.
„Zwei Frauen kamen in den Laden, haben meine Frau mit ihrem Kopftuch gesehen und sind wortlos wieder gegangen“, berichtet Muttalip. Ein anderes Mal habe ein Gast zu dem Gastronomen, der gerne mal in seinem eigenen Café liest, gesagt: „Ich habe noch nie einen Türken getroffen, der ein Buch gelesen hat.“
Ein Blick zur Zimmerdecke im Monsieur M. zeigt, was Muttalip über Fremdenfeindlichkeit denkt. Überall baumeln Zettel mit kleinen Weisheiten, die er in Büchern gefunden oder selbst formuliert hat. Da steht unter anderem: „Ich bin weder Türke noch Deutscher, sondern ein Bürger der Welt“ oder „Das was du bist, zeigt sich an dem, was du tust“. Wer ist demnach Monsieur M.? Vielleicht eher Quartierspate als Gastronom.