Ratingen: Die Macht der Sprache
Jahrelang gab es keine Lösung für die Probleme vor der Eishalle. Bis eine Russisch sprechende Diakonie-Angestellte auf Dialog setzte.
Ratingen. Manchmal kann es so einfach sein: Ein richtiges Wort in der richtigen Tonlage zur richtigen Zeit - und schon sind schier unlösbare Probleme so gut wie aus der Welt. Elena Zhukovsky ist eine Person, die weiß, wann es Zeit ist, zu reden. Und vor allem wie. So sorgte die Mitarbeiterin der Diakonie vor der Eishalle, wo Jugendliche im Eingangsbereich jahrelang regelmäßig Trinkgelage abhielten und die Anwohner durch ihre Lautstärke auf die Barrikaden brachten, für Ruhe.
Bis sich Zhukovsky, die gebürtige Russin, aber dem Problem mit den größtenteils aus Kasachstan stammenden Jugendlichen annehmen durfte, versuchten es zunächst die Institutionen. So installierte die Stadt ein Mosquito-Gerät, das einen hohen, für Menschen bis 25 Jahre unangenehmen Pfeifton erzeugt. Das Ultraschall-Gerät vertrieb die Jugendlichen sogar, "sorgte aber nur dafür, dass sie sich kurzzeitig auf einem Parkplatz in Ratingen-West getroffen haben", sagt Zhukovsky und schüttelt den Kopf.
Als das Mosquito-Gerät auf öffentlichen Druck hin wieder verschwand, wurden andere Maßnahmen diskutiert: ein erweiterter Einsatz des Ordnungsamtes, ein privater Sicherheitsdienst und eine Objektbewachung. Doch dann scheiterte alles an den zu erwartenden Kosten. Das Problem bestand also weiterhin.
Erst jetzt übernahm Zhukovsky und versuchte einen neuen Weg. Ihren Weg. Seit 1995 betreut sie bereits junge Deutschrussen in Ratingen mit einem einfachen wie logischen Konzept: "Anstatt über sie zu reden, wollte ich mit den Jugendlichen reden." Und zwar auf Russisch. Das kam an. Die Jugendlichen öffneten sich und erzählten der überraschten Diakonie-Mitarbeiterin, dass sie die erste sei, die sich für sie selbst und ihre Sicht der Dinge interessiert. "Sprache ist eben eine Macht", sagt Zhukovsky.
So lud sie die Gruppe in ihren Freitagstreff "Club 18" am Maximilian-Kolbe-Platz ein und stellte schnell fest, dass der größtenteils aus jungen Männern bestehende Freundeskreis zwar "etwas laut" und hin und wieder auch "durchaus trinkfest" ist, allerdings nicht gewalttätig. "Die meisten hatten eher Langeweile und wussten nicht, wo sie mit so vielen Leuten hingehen sollten. Kneipen waren ihnen zu teuer. Deswegen hingen sie an der Eishalle ab", sagt Zhukovsky, die anfangs aber trotz der guten ersten Kontaktaufnahme Probleme hatte, die komplette Gruppe zu erreichen. "Zu Beginn kamen noch nicht viele in den Club. Sie waren skeptisch, was ich von ihnen will", erinnert sie sich.
Für die studierte Psychologin war das eine völlig neue Situation. "Meine früheren Gruppen waren anders. Die Jugendlichen waren immer sehr motiviert und interessiert." So veranstaltete sie mit ihren vorherigen Gruppen Grillabende, lud zum Sport, fuhr in einen Freizeitpark nach Bottrop, realisierte Theaterstücke und andere Kulturprojekte oder war einfach da, um zu reden. Dazu gab es Elternabende und Gespräche mit Lehrern oder Vorgesetzten. Die meisten der alten Gruppen haben davon profitiert. "Viele haben studiert, fast alle haben eine Ausbildung", sagt Zhukovsky.
Doch trotz aller Erfolge will die Diakonie-Mitarbeiterin die Realität nicht verklären. "Die Probleme vererben sich. Teilweise sind die neuen Jugendlichen die Kinder der alten", weiß Zhukovsky, die aber auch damit zurecht kommt. "Wie sie mit den jungen Leuten spricht, das würde ich mich nicht trauen", sagt Ingrid Esken, Abteilungsleiterin der Diakonie für die Region Ratingen. Zhukovsky: "Die Jungs sind eine harte Sprache gewöhnt. Manchmal muss das so sein." Sprache ist eben eine Macht.