Stall wäre heute Fall fürs Sozialamt
Was würde passieren, wenn Jesus Christus in unserer Zeit auf die Welt käme? Was wäre anders als vor 2000 Jahren? Ein Gedankenspiel.
Wülfrath. Man kann die Geschichte ganz romantisch erzählen: Der rechtschaffene Zimmermann Josef und seine Verlobte Maria aus Nazareth mussten nach Bethlehem. Da sich auf Geheiß Augustus’ viele Menschen in der Stadt aufhielten, die sich in die Steuerlisten eintragen mussten, fand das junge Paar keine Unterkunft. Ein Herbergsbesitzer hatte Mitleid und bot den Menschen in Not zumindest eine Bleibe im Stall an. In ihm brachte Maria ihr Kind zur Welt, einen Jungen. Sie nannten ihn Jesus. Maria wickelte das Kind in Windeln. Und da sie keine Wiege hatten, legte Josef das Baby in die Futterkrippe.
Man kann es aber auch nüchtern erzählen: Aus steuerrechtlichen Gründen suchten ein Handwerker mit seiner Freundin als zwei Obdachlose eine Bleibe in Bethlehem, um ihr Kind zu gebären. Als die beiden schließlich Eltern sind, muss der kleine Junge unter unwürdigen Bedingungen in einem Stall überleben.
„Unvorstellbar heute“, sagt Michaele Berster. Die Sozialdezernentin in Wülfrath kennt die Hilfen und Förderungen, die solchen Familien in „schwierigen Lebenssituationen“ zugute kämen. Sofort ist er da, der 8a-Paragraf. Der „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ greift, kaum ist die Nabelschnur durchgeschnitten. Mit einem Krankenwagen kommen Mutter und Kind erstmal zur Untersuchung in die Klinik.
Eventuell bekommen sie eine Hebamme an die Seite gestellt. Besuch ist in der Klinik anfangs kaum erlaubt. Die Hirten müssten wohl warten. Das Sozialamt prüft, ob ein Stall, zudem mit tierischen Bewohnern und nicht ganz sauberen Verhältnissen, für die ersten Lebenstage eines Babys tolerabel ist. Könnte sein, ist aber eher unwahrscheinlich. Also geht es für die Drei in eine Obdachlosenunterkunft. Als erstes Angebot für Neugeborene in vielen kreisangehörigen Städten gibt es den „Begrüßungsrucksack“ — mit Informationen, Gutscheinen, Kuscheltier und Rauchmelder. „Bei allen Geburten beraten wir die Familie umfassend, besuchen sie und bieten alle Hilfen an, die notwendig sind“, sagen Berster und ihre Kollegen.
Michaele Berster, Sozialdezernentin der Stadt Wülfrath, würde sich mit ihren Kollegen der Familie des kleinen Jesus annehmen
Geht Josef kurz nach der Niederkunft zum Standesamt und verlangt Jesus Christus als Vornamen, könnte es schwierig werden. Es gibt Städte, die das ablehnen. Mettmann nicht. „Jesus Christus ist beides eintragungsfähig“, sagt der Leiter des Mettmanner Standesamtes, Michael Wiesenhöfer. In den Verzeichnissen sei dies ausdrücklich erlaubt. Ganz jecke Eltern wie die, die vor einiger Zeit in Süddeutschland „Frieden Mit Gott Allein Durch Jesus Christus“ als männlichen Vornamen einzutragen versuchten, sind dagegen fast gescheitert. Der Junge durfte den Namen nur behalten, weil er im Ursprungsland Südafrika bereits lange getragen wurde.
In Zusammenarbeit mit dem Jobcenter wird man sich möglichst um eine Vollzeitstelle für den Zimmermann kümmern. Die städtischen Wohnungsgesellschaften recherchieren sofort bei den von ihnen bewirtschafteten Wohnungen: Zwei- bis Drei-Zimmerwohnung, Küche, Bad, Schlafzimmer. Klappt das, hilft der SKFM-Laden mit Kleidung für die ganze biblische Familie, auch mit Kindermöbeln und einer gebrauchten Erstausstattung. 190 Euro Kindergeld gibt’s, Wohngeld, je nach Verdienst, würde dem jungen Paar zustehen.
Beim Kindergeld hilft die Kommune unter „besonderen Bedingungen“ mit einem Zuschlag. „Wäre im Fall Jesus Christus möglich“, sagt Berster. Josef kann als Alleinverdiener einen Elterngeldantrag stellen. 67 Prozent seines letzten Zimmermanngehalts, mindestens 300, aber höchstens 1800 Euro, bekämen er, Maria und Jesus ein Jahr lang. Wenn er denn ausreichend Arbeitszeiten vor der Geburt Jesu nachweisen kann. Ansonsten bekäme die Familie Gutscheine und Bargeld als Unterstützung, damit sie sich versorgen kann mit Essen, Trinken, Windeln, Kleidung.
Ziehen Josef, Maria und ihr Filius zurück nach Nazareth, gibt’s keine Sprachprobleme. Käme das Trio als Flüchtlinge, sagen wir mal nach Wülfrath, ist ein Deutsch-Kursus vonnöten. Mit Aramäisch kommen sie in der Kalkstadt kaum weiter. Dem Glück helfen Berster und ihre Mitarbeiter gemeinsam mit dem Jobcenter so gut es. Trübt sich allerdings das Glück der Verlobten ein und sie trennen sich, muss Josef zahlen. Leben sie getrennt, wird Josef nach der Düsseldorfer Tabelle genau geregelten Unterhalt für den kleinen Jesus Christus überweisen: je nach Verdienst des Zimmermanns monatlich zwischen 342 und 548 Euro. Kann Josef keinen Unterhalt zahlen, weil er selbst nichts oder zu wenig verdient, springt die Stadt ein. Sie leistet Unterhaltsvorschuss. Aber: Sie klagt das Geld, wenn möglich, beim Vater wieder ein. Wäre Josef so schäbig und würde nicht zahlen? Nein, denn es ist sein himmlisches Kind, das seinem Vater, seiner Mutter und der ganzen Menschheit das Geschenk der Liebe bedingungslos anbietet. Eine andere Art des Vorschusses.