Wülfrath Tanzparadies und Vertriebenen-Unterkunft
Wülfrath · Viele Wülfrather trauern noch heute der Stadthalle nach, die mehr als acht Jahrzehnte das Leben in der Stadt entscheidend geprägt hat.
. Kennen Sie noch „Havemanns Scheune“? So wird scherzhaft die Stadthalle genannt, die von ihrer feierlichen Übergabe am 17. November 1928 bis zu ihrem umstrittenen Abriss Mitte 2012 eine bewegte Geschichte in Wülfrath erlebt. Die Stadthalle ist zudem das größte Gebäude, das zwischen den beiden Weltkriegen in der Kalkstadt errichtet wird. „Das Besondere ist zunächst das Spitzdach, das allerdings bei einer späteren Renovierung des Gebäudes abgetragen wird und gegen ein Flachdach ausgetauscht“, weiß Stadtarchivar Axel Bayer. Mehr als acht Jahrzehnte prägt die Stadthalle das Zentrum. Zu Besuch sind Spitzenpolitiker wie Johannes Rau, große Konzerte und Theateraufführungen finden statt. Generationen von Abiturienten feiern dort ihre Reifeprüfung.
Viele Wülfrather Firmen sind beim Bau der Stadthalle beteiligt
Bereits im Oktober 1926 wird der von Professor Klotzbach in Barmen angefertigte Entwurf einer Turn- und Festhalle vorgestellt. Die Chronik berichtet von einer „einmütigen Zustimmung des Bau- und Finanzausschusses“. Bei der folgenden Sitzung der Stadtverordneten-Versammlung werden die Planungen zur Beschlussfassung unterbreitet. Derweil liegen zugehörige Schaubilder und ein Lageplan im Ladenfenster der Firma Robert Konrads aus. Noch im selben Monat gibt es die Genehmigung. Das Gebäude soll 180 000 Mark kosten.
Der Baubeginn ist 1927, vermutlich am 7. Oktober. „Das Mauerwerk, nicht jedoch die Betondecke, errichtet die Wülfrather Baufirma Carl Rademacher“, berichtet der General-Anzeiger in einem Rückblick im Jahr 1968. Auch viele weitere Firmen aus der Kalkstadt sind am Bau beteiligt. Heyland aus Aprath ist für die Heizung zuständig, die Gebrüder Wehrmann kümmern sich um die Elektroinstallation, Wilhelm Wenzel ist mit den Schreinerarbeiten betraut, Wilhelm Clashausen wiederum mit den Zimmerarbeiten, Wilhelm Webeling übernimmt die Maler- und Anstreicharbeiten, Johann Gallinger die Dachdeckerarbeiten. Bereits am 17. November 1928 wird die Stadthalle feierlich übergeben.
Zwei „Tage später berichtet die Wülfrather Zeitung: „In dem Gebäude untergebracht sind eine kaufmännische und hausgewerbliche Berufsschule, eine Schulzahnklinik, eine Mütterberatungsstelle und die Tuberkulose-Fürsorgestelle.“ Immerhin: Die Halle dient als Mehrzweckhalle für Turnveranstaltungen und kulturelle Ereignisse.
Am 7. August 1931 berichtet die Wülfrather Zeitung von ausgelassenen Feierlichkeiten. Geladen ist zur Kirmes, an beiden Tagen ab 16 Uhr ist Konzert oder Tanz angesagt. Beworben wird der freie Eintritt – und der Parkettboden, auf dem getanzt wird. Versprochen ist „Kirmestrubel in sämtlichen Räumen, eine erstklassige Kapelle, beste Speisen und Getränke bei zivilen Preisen“. Als Spezialitäten werden Erdbeerbowle und Heringssalat angepriesen. „Um gütigen Zuspruch“ bittet Peter Derichs per Zeitungsanzeige. Diese unbeschwerte Zeit ist allerdings schnell vorbei.
Während des Zweiten Weltkriegs nutzt das Ernährungs- und Wirtschaftsamt die Räumlichkeiten der ehemaligen Berufsschule. 1943 werden Evakuierte aus Düsseldorf in der Stadthalle untergebracht, 1945 folgen deutsche Truppen. Dies währt aber nicht lange, amerikanische Soldaten beschlagnahmen die Halle. Anschließend ziehen britische Soldaten in die Stadthalle ein. 1946 werden dort „Ortsvertriebene“, also deutsche Flüchtlinge aus den östlichen Gebieten, untergebracht. Auch die inzwischen verstorbene Vorsitzende des ehemaligen Seniorenvereins, Gertrud Brüggemann, zieht dort ein. In den Nachkriegsjahren dient die Stadthalle als „Unterkunft, Durchgangslager oder erste Wohnstatt“, wie die WZ berichtet. „Dünne Zwischenwände trennen den großen und den kleinen Saal in Verschläge, die man Zimmer oder gar Wohnung nennt“. Noch im Jahr 1954 leben 50 Vertriebene und Flüchtlinge in der Stadthalle. „Ich war ganz geschockt, als ich das erfahren habe“, zeigt sich Stadtarchivar Axel Bayer beeindruckt. In diesem Jahr ist auch das Gesundheitsamt dort untergebracht.
1967 wird die Stadthalle saniert. Kosten: 200 000 Mark. Nur ein Jahr später billigt der Rat den Dringlichkeitsbeschluss zum „gründlichen Umbau“ der Stadthalle in eine Festhalle. Dies kostet laut Chronik 700 000 Mark. Das Gebäude erhält ein Flachdach, weil die Decke nach neuen Brandschutzbestimmungen aus Beton sein muss. Bisher war die Decke hölzern und ruhte auf mächtigen Querbalken. Das Flachdach passt darüber hinaus zur künftigen Nachbarschaft, dem Rathaus, der Sporthalle und der Sparkasse, so die Chronik. Es soll bald einen Bühnenturm und einen neuen Eingang geben.
Die Außenhaut der Stadthalle wird zum großen Problem
1969 wird der westliche Teil aufgestockt, um den Bühnenturm zu realisieren. Im Inneren gibt es wesentliche Veränderungen. Das Foyer hat einen komplett neuen Treppenaufgang zum Saal. Mit der Verlegung des Treppenaufgangs in den Stadthallensaal wird die Wandelhalle erheblich größer. 1970 muss eine neue Wasserversorgung gelegt werden. Eine 150er-Leitung versorgt das Gebäude von der Parkstraße her mit Wasser. Diese Verstärkung wird notwendig, weil die Stadthalle eine Sprinkleranlage bekommt. Die Einweihungsfeier der neugestalteten und umgebauten Stadthalle findet am 3. Oktober 1970 statt. Fast 20 Jahre lang kann das zentrale Gebäude der Innenstadt von den Bürgern genutzt werden.
Ende der 1990er Jahre rächt es sich allerdings, dass die Außenhaut der Stadthalle mit vorgehängten Eternitplatten versehen worden war. Bürgermeister Ulrich Eilebrecht lässt 1999 Teile der Stadthalle wegen Absturzgefahr der Fassadenverkleidung sperren. Die Sanierung wird auf 1,3 Millionen Mark taxiert. So weit soll es aber nicht mehr kommen. Im Jahr 2010 werden für das Bürgerbegehren „Rettet die Stadthalle“ 2257 Unterschriften gesammelt. Der Rat erklärt „nach eingehender juristischer Prüfung der Verwaltung“ das Bürgerbegehren für unzulässig. Nicht zuletzt das Nothaushaltsrecht spielt dabei eine Rolle. Im Juni 2012 macht sich der Abrissbagger ans Werk. Klaus H. Jann sammelt zwei Dutzend Bürger um sich herum, die ein Treffen an der Abrissstelle haben. Bei dieser Abschiedsfeier werden Papierschilder am Bauzaun aufgehängt. „Wo machen wir jetzt in Wülfrath Kultur?“ ist zu lesen, oder auch „Du warst keine Schönheit, aber immer für uns da.“