Über das Wunder von Bern in die Ratinger Geschichte

Kultur: Im „Projekt 54“ setzen Schüler des Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gymnasiums ihre Recherchen gelungen in Szene.

Ratingen. "Horst! Günther! Schaut euch mal den Fernseher an. Der ist kaputt, es wäre fatal, wenn wir das Endspiel nicht gucken könnten", fordert Kneipenwirt Kalle zwei Fernsehtechniker auf, die bei ihm zu Gast sind. Die Brüder Horst und Günther machen sich vom Tresen auf und begutachten das Schwarz-Weiß-Gerät. Denn sie wollen auf keinen Fall das Fußballweltmeisterschaftsfinale Deutschland gegen Ungarn verpassen.

So, wie es am Sonntag zehn Schüler des Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gymnasiums im Lesecafé des Medienzentrums aufführten, oder ähnlich kann es vor 56 Jahren im "Treuen Husar", einer ehemaligen Ratinger Kneipe, zugegangen sein, bevor das legendäre Fußballspiel von 1954 angepfiffen wurde. Mit einer Aufführung in zeitgetreuen Kostümen, stilistisch passendem Bühnenbild und Klaviermusik aus dem Jahrzehnt versetzten die Schüler etwa 100 Zuschauer in die 1950er-Jahre zurück.

Das "Projekt 54", wie die Aufführung genannt wurde, ist durch den Wettbewerb "Jugend und Archiv" des Landes Nordrhein-Westfalen entstanden. Das Stadtarchiv, das diesen Wettbewerb bereits drei Mal gewinnen konnte, arbeitete unter dem Motto "Living History", lebende Geschichte, mit dem Gymnasium zusammen.

In freiwilliger Recherchearbeit, die im Januar begann und teils auch aus dem Lesen alter Tagebücher in Sütterlin-Schrift bestand, entwickelten die 15- bis 17-jährigen Schüler aus zwei zehnten Klassen mit ihren Lehrern Walburga Fleermann-Dörrenberg und Georg Cremer mehrere Charaktere, die in dem Rollenspiel umgesetzt wurden.

Dafür war nicht nur Textrecherche nötig. Um ein realistisches Ratinger Bild zu kreieren, wurde auch mit acht Zeitzeugen gesprochen. Einer von ihnen ist der 78-jährige Heinz Schlepütz. Im Stück tauchte er nun als Fernsehtechniker Horst auf - und erkannte sich in der Aufführung direkt wieder. "Es ist toll, dass sich junge Leute mit dieser Zeit beschäftigen und dadurch mitkriegen, wie wir früher gelebt haben", sagte er nach der Aufführung zufrieden.

Darin ging es nämlich nicht nur um Fußball. Die deutsche Vergangenheit wurde aufgegriffen, indem sich im Stück mehrere Personen in Ratingen wiedertreffen, die sich seit 1933 aus den Augen verloren hatten. "Es war schwierig, sich in die Menschen von damals hineinzuversetzen", findet der 15-jährige Lucas Kiefer, der einen Juristen und Nazi-Mitläufer spielte. "Aber durch die Gespräche und Filme haben wir es geschafft, in die Rollen zu schlüpfen."