Wallfahrt: Ein Tag Schlesien in Neviges
Zum traditionellen Fest der heiligen Anna platzte der Mariendom aus allen Nähten — hinterher wurde groß gefeiert.
Neviges. Wenn am letzten Sonntag im Juli die Nieder- und Oberschlesier zur Mutter-Anna-Wallfahrt nach Neviges kommen, macht sich nach der Messe zwischen Kloster und Mariendom Volksfest-Atmosphäre breit. Es riecht nach leckeren Krakauern und Wellwurst vom Grill, der Streuselkuchen, vorzugsweise mit Mohn, geht plattenweise über den Tresen. Aus ganz NRW reisen die Schlesier an, aber auch manche Nevigeser finden sich im bunten Treiben.
Dass aus einer einfachen Messe einmal eine ausgewachsene Wallfahrt wird, war indessen nicht abzusehen, sagt Damian Spielvogel, Vorsitzender des Velberter Ortsverbandes der Landsmannschaft Schlesien. Weil seine erkrankte Großmutter 1995 nicht zur alljährlichen St. Anna-Wallfahrt nach Haltern pilgern konnte, hatte man die Franziskaner gefragt, eine Messe zu Ehren von Anna, der Mutter Mariens zu lesen. „Zwei der Besucher des Gottesdienstes kamen damals in ihrer Landestracht“, erinnert sich der Velberter - in den Folgejahren wurden es schnell mehr. Heute organisieren die örtliche Landsmannschaft und die Schlesische Jugend die Wallfahrt gemeinsam mit dem Kloster.
Auch am Sonntag zogen etliche Gäste in Landeskleidung, oberschlesische Bergleute in ihrer Tracht, in den Mariendom ein, in dem selbst Stehplätze Mangelware waren — wer nicht mehr in die Kirche passte, verfolgte die ins Freie übertragene Messe auf dem Vorplatz. Die Atmosphäre, die Trachten, der stimmungsvolle Gottesdienst — „das ist jedes Jahr ganz toll“, findet Barbara Kotarra. Die Tönisheiderin, die viele Bekannte aus dem Ort getroffen hat, sieht sich „schlesisch angehaucht“ durch Ehemann und Schwiegermutter, die aus dem Osten stammen.
Auch für Johannes und Christel Preyss hat der Besuch der Wallfahrt Tradition: „Die Schlesier feiern ganz anders, mit viel Herz“, sagt die Velberterin, deren Mann aus dem Kreis Leobschütz stammt.
Nach der Messe im Mariendom geht es recht weltlich zu: Trachtengruppen zeigen landestypische Tänze, ein oberschlesisches Blasorchester, das auch den Gottesdienst musikalisch begleitet hat, spielt auf. Hochbetrieb herrscht an den Ständen. Wer oberschlesische Wurstspezialitäten wie Grützwurst oder Presskopf, Brot aus Natursauerteig oder den unvermeidlichen Streuselkuchen kaufen möchte, muss teilweise lange anstehen.
„Wir backen seit 1920, inzwischen in der dritten Generation“, sagt Bäckermeisterin Heidi Müller. Der Großvater hatte einst in Beuthen im oberschlesischen Kohlerevier sein Geschäft, floh nach dem Krieg und ließ sich in Schwelm nieder. „Er hat ein Eimerchen mit Sauerteigkulturen in den Westen retten können“, berichtet die Enkelin — von diesen stammt noch der heute verwendete Sauerteig ab, denn beim Fertigen jedes neuen Teiges wird ein Stückchen als Kultur für die nächste Charge zurückgehalten. Viele Schlesier kaufen auf Vorrat ein: „Hier trifft man sich jedes Jahr wieder“, sagt Müller.