Wallfahrt ist wie ein Klassentreffen

Viele Schlesier zog es gestern zur Mutter- Anna-Wallfahrt in den Mariendom. Dort wurden nicht nur kirchliche, sondern auch Volkslieder gesungen.

Foto: Ulrich Bangert

Neviges. „Der Einzug der einzelnen Gruppen und der Gesang dazu ist immer wieder ergreifend.“ Ursula Ressing zeigte sich gerührt vom Auftakt zum Festgottesdienst zur Mutter-Anna-Wallfahrt, der jedes Jahr mit vielen Emotionen verbunden ist. Da sind nicht nur die zahlreichen Fahnen und Trachten, die Erinnerungen an die alte schlesische Heimat wecken, es sind vor allem die Lieder, die starke Gefühle erzeugen. „Wenn der Chor der Oberschlesischen Bergmänner Liebe Madonna anstimmt, dann stehenden den meisten Zuhören die Tränen in den Augen“, hat der Nevigeser Heribert Ressing beobachtet.

„Die Lieder werden von innen heraus mit viel Inbrunst gesungen, die alte Heimatverbundenheit wird deutlich“, sagt Henri Schmidt. Der Historiker und ehemalige Velberter Polizeichef hat schlesische Wurzeln und nahm als Protestant gestern zum ersten Mal an der festlichen Messe in dem prall gefüllten Dom teil: „Das war sehr ergreifend.“

Der Gottesdienst, musikalisch außerdem durch das Oberschlesische Blasorchester und dem Organisten Marc-David Schwarz umrahmt, wurde durch den Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke geleitet, dessen Eltern aus Schlesien in die damalige DDR vertrieben wurden. Nach dem Gottesdienst wurde fröhlich auf dem Kirmesfest gefeiert.

Henri Schmidt, ehemaliger Velberter Polizeichef mit schlesischen Wurzeln

Die Bergmannskapelle stimmte schlesische Volkslieder an, die nicht weniger emotional waren als die im Dom: „In Schlesien liegt meine Heimat, dort war ich als Kind noch zu Haus. Zur Schule gingen wir noch gemeinsam, doch die Jugend war viel zu schnell aus.“ Im weiteren Verlauf des Liedes geht es um die Vertreibung und einem Neuanfang in der Fremde.

Doch revanchistisch geben sich die ehemaligen Vertriebenen nicht. „Die Zeit heilt alle Wunden, die Menschen verstehen sich untereinander. Was die Politik macht, ist wieder etwas anderes“, brachte es Cornelia Rzeppa auf den Punkt und verweist darauf, das Schlesier und Polen sich verstehen und sogar untereinander heiraten. „Schlesier sind politisch nicht sehr aktiv, dafür wird der Glaube sehr stark gelebt, wobei Anna, die Mutter Marias und die Oma von Jesus, eine große Bedeutung hat“, beschreibt Franz Koputz das Lebensgefühl, das der Solinger mit seiner Ehefrau Anna-Maria im Bergischen pflegt.

Die beiden erschienen in der Rossberger Tracht: Sie trug zum langen Kleid eine Spitzenbluse und eine Schürze. „Alles schön bunt, so war die Ausgehkleidung. Allerdings passt der Kranz auf dem Kopf nicht, den trugen ursprünglich nur unverheiratete Frauen.“ Die männliche Tracht mit der blauen Weste ist von den Bergleuten inspiriert: „In Schlesien ist der Ursprung des Bergbaus“, sagt Franz Koputz, der davon überzeugt ist, dass im Gegensatz zum Ruhrgebiet die Kohleförderung in Schlesien noch 50 Jahre lang erhalten bleiben wird.

Die Mutter-Anna-Wallfahrt bietet nicht nur „ein großes Klassentreffen“, sondern auch die Möglichkeit, schlesische Spezialitäten zu genießen. Geduldig standen die Menschen an, um verschiedene Kuchen nach Originalrezepten zu kaufen. Begehrt waren vor allem auch die schlesischen Würste, mehr als die Krakauer.