„Was für ein Behördenirrsinn“
Flüchtling Anas S. (17) ging in Wülfrath zur Schule und machte ein Praktikum — bis er von heute auf morgen nach Gladbeck geschickt wurde. Eine Posse mit Happy-End.
Wülfrath. Anas S. saß gestern in einer Unterkunft in Gladbeck und verstand die Welt nicht mehr. Eigentlich hatte der 17-jährige Eritreer in Wülfrath beste Voraussetzungen für einen guten Neustart: Er nahm Schulunterricht am Berufskolleg Neandertal, verfügte über einen Praktikumsplatz in einem Wülfrather Altenheim und hatte sogar Aussicht auf einen Ausbildungsplatz — ein positives Integrationsbeispiel. Doch in der vergangenen Woche schickte das Jugendamt ihn überraschend nach Gladbeck. „Hier ist alles ganz neu, ich möchte nach Wülfrath zurück“, sagte Anas S., dem durch den plötzlichen Umzug alles zerstört wurde, was er sich in einem Jahr aufgebaut hatte, der WZ.
Jürgen Luckhardt, Flüchtlingshelfer
Flüchtlingshelfer Jürgen Luckhardt konnte es nicht fassen. „Was für ein Behördenirrsinn und welch ein desaströses Ergebnis“, sagte der 69-Jährige, der die Entwicklung von Anas S. in Zusammenarbeit mit der Flüchtlingsinitiative Inga eng begleitet hat.
Was steckt hinter der Verlegung? Anas S. ist ein unbegleiteter männlicher Flüchtling — was in seinem Fall erst nachträglich festgestellt wurde — und kam daher vor einem Monat zunächst in die Obhut des Jugendamts Wülfrath. Doch die Zuweisung der minderjährigen Flüchtlinge funktioniert über einen Berechnungsschlüssel.
In einer Stellungnahme von Jugendamtsleiterin Bärbel Habermann heißt es dazu: „Da das Jugendamt Gladbeck unterhalb seiner Aufnahmequote belastet ist, ist eine dem Kindeswohl gerecht werdende Betreuung von Anas S. dort gewährleistet.“ Von einer Kindeswohlgefährdung könne durch die erneute große Veränderung für Anas S. keine Rede sein.
Besonders unverständlich ist der Fall für Jürgen Luckhardt und die Inga, weil der 17-Jährige in vier Monaten volljährig wird und dann wieder normal in einer Asylbewerberunterkunft untergebracht werden wird. Luckhardt hat die Erfahrung bei seinen Behördengängen mit den Flüchtlingen schon oft gemacht: „Man tut oftmals zwar dem Gesetz genüge, sieht den Menschen dahinter aber nicht.“
Zwischenzeitlich hatte sich Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese (SPD) eingeschaltet und dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) in einem Brief ihren Unmut ausgedrückt. Doch gestern Vormittag schien die Geschichte noch keinen guten Ausgang zu nehmen. Anas S. berichtete der WZ aus Gladbeck: „Ich warte hier seit Tagen. Noch ist nichts passiert. Keine Schule. Nichts.“
Nachmittags meldete sich die Stadt Wülfrath in der Redaktion. Die „Landesverteilstelle für die Verteilung unbegleiteter ausländischer Minderjähriger in NRW“ teilte mit, einen Fehler gemacht zu haben. „Bedauerlicherweise wurde ein Vermerk des Jugendamtes Wülfrath auf dem Meldebogen übersehen“, heißt es in dem Schreiben. Das Jugendamt in Wülfrath habe nämlich von einer Verteilung von Anas S. abgeraten und genau dem wolle man jetzt folgen. Der junge Eritreer darf zurück. Als Jürgen Luckhardt davon erfuhr, wie leicht jetzt plötzlich alles ging, war die Freude groß: „Ich kann’s ja gar nicht glauben.“ Eine Behördenposse — gerade noch einmal abgewendet.