Fall Luca: Lebenslange Haft gefordert

Der Staatsanwalt sieht es als erwiesen an, dass Martin S. den kleinen Luca tötete. Die Verteidigung fordert Freispruch.

Foto: Heike Ahlen

Viersen. Die „unmittelbaren Beweismittel“ fehlen — das räumte Stefan Lingens ein. Dennoch steht für den Staatsanwalt fest, dass Martin S. in der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober 2016 den fünf Jahre alten Luca in dessen Kinderzimmer misshandelt und getötet hat. In seinem Plädoyer beschuldigte Lingens gestern Martin S. „aufgrund einer Reihe von Indizien“ des Mordes aus Grausamkeit und forderte eine lebenslange Freiheitsstrafe. Der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Henning Rente, plädierte wegen der fehlenden Beweise auf Freispruch.

In jener Nacht im Oktober soll Martin S. der Staatsanwaltschaft zufolge den Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin Amanda Z. in deren Wohnung in Dülken unter anderem an Bauch und Kopf verletzt, ihn zudem gewürgt haben. Die „multiplen Verletzungen“ ließen darauf schließen, dass das Kind über einen langen Zeitraum gequält worden sei. Die Tat sei auf „eine gefühllose Gesinnung“ zurückzuführen, sagte Lingens gestern während des sechsten Prozesstags am Landgericht Mönchengladbach.

Die Mutter des Jungen beschuldigte der Staatsanwalt der Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen und forderte für sie drei Jahre Haft. Sie habe von Lucas „Abneigung“ gegenüber Martin S. gewusst und hätte verhindern müssen, dass die beiden Kontakt zueinander haben, erläuterte Lingens. Der Verteidiger der Angeklagten, Rechtsanwalt Felix Menke, sprach sich hingegen für eine Bewährungsstrafe aus. „Ich stelle das Strafmaß ins Ermessen des Gerichts“, sagte er.

Felix Menke, Verteidiger von Z.

Aber: „Frau Z. hat auf bestialische Weise ihren Sohn verloren“, das müsse in Betracht gezogen werden. Man dürfe nicht vergessen, dass sie noch eine kleine Tochter habe. Amanda Z. habe zugegeben, dass sie Anzeichen für Misshandlungen nicht habe sehen wollen. „Die Schuld, die sie auf sich geladen hat, wird sie nie wieder gut machen können“, sagte Menke. „Frau Z. macht sich Vorwürfe.“

Zu Beginn des Prozesstages gestern spielte der Richter die Telefonate ab, die Martin S. und Amanda Z. am Morgen des 23. Oktober mit einem Mitarbeiter der Notrufzentrale geführt hatten. Erst hatte Martin S. mit beherrscht klingender Stimme Rettungskräfte angefordert, weil Luca bewusstlos sei. Dann wählte Amanda Z. den Notruf. „Mein Sohn atmet nicht mehr. Wo bleiben Sie?“, fragte sie, wirkte hektisch, völlig aufgelöst. „So etwas kann man nicht spielen“, sagte ihr Verteidiger in seinem Plädoyer und betonte, die Mutter habe den Verlust ihres Kindes nicht verschuldet. Der Anwalt des angeklagten Martin S. sieht hingegen durchaus Indizien dafür, dass Amanda Z. die Tat begangen haben könnte. „Das einzige, das hier zweifelsfrei feststeht, ist, dass einer der beiden zu Recht auf der Anklagebank sitzt“, sagte er. Amanda Z. und Martin S. seien zur Tatzeit die einzigen handlungsfähigen Personen in der Wohnung gewesen. Beide haben in Vernehmungen ausgesagt, sie wüssten nicht, was mit Luca passiert sei. Es könne „nicht frei von Zweifeln“ festgestellt werden, dass sein Mandant Luca getötet hat, sagte Rente. Gleiches gelte für die beiden Fälle von Körperverletzung, für die sich Martin S. verantworten muss: Er soll Luca im Januar 2016 ins Gesicht geschlagen, im April mit einem brennenden Feuerzeug am Rücken verletzt haben. Sollte das Gericht seinen Mandanten verurteilen, müsse beachtet werden, „dass das Merkmal der Grausamkeit nicht erfüllt ist“, betonte Rente noch. Denn Luca sei während der Tat vermutlich über einen längeren Zeitraum bewusstlos gewesen.

Am Ende des vorangegangenen Prozesstages hatte der Staatsanwalt beantragt, dass Martin S. doch wegen grausamen Mordes statt Totschlags verurteilt werden könne. Einen rechtlichen Hinweis dazu erteilte der Richter gestern jedoch nicht. „Wegen der Nähe zu Mord“ forderte Lingens aber auch beim Urteil „Totschlag“ lebenslänglich.