Kaldenkirchen: Zeitreise mit der Bahn
Mit einer Sonderfahrt eines historischen Zuges wurde der Eröffnung der Strecke Venlo-Viersen vor 150 Jahren gedacht.
Kaldenkirchen. Bodo Gerdes lehnt sich in dem grünen samtüberzogenen Sitz entspannt zurück. „Das ist wie früher“, sagt der 71-Jährige, der fast fünf Jahrzehnte bei der Deutschen Bahn tätig war. Er hat seine alte Uniform angezogen. Außerdem hat er seine Stempelzange dabei, einen Galoppwechsler und seine Trillerpfeife, die so laut ist, dass auch in dem Abteil nebenan für einen Moment komplette Stille herrscht.
So wie Bodo Gerdes haben zahlreiche Menschen an der Sonderfahrt mit einer Lokomotive von 1968 der Centralbahn von Kaldenkirchen nach Viersen und zurück teilgenommen. Der Bürgerverein Kaldenkirchen hat das Event für den 5. November geplant und veranstaltet — als Erinnerung an ein wichtiges historisches Datum: Genau vor 150 Jahre wurde die Teilstrecke Venlo-Kaldenkirchen-Viersen eröffnet.
Es ruckelt ein wenig, dann fährt der Zug langsam an. Die Passagiere sitzen auf ihren Plätzen in den Waggons, stehen im Gang, schauen nach draußen oder genießen ein Getränk im Speisewagen. Der richtige Ort, um sich an alte Zeiten zu erinnern. Wie mag die Fahrt damals wohl gewesen sein?
Viele haben sich für diese Zeitreise passend angezogen: Zylinder bei den Herren, lange Kleider bei den Damen. „Wie zur Biedermeierzeit“, sagt Professor Leo Peters, der 30 Jahre lang an der Veröffentlichung der Stadtgeschichte Kaldenkirchens gearbeitet hat. Pünktlich zum Bahnfest erscheint die zweibändige Ausgabe. Kaldenkirchen ist Grenzstadt und deshalb ein wichtiger Knotenpunkt für den internationalen Bahnverkehr. „Heute stehen wir vor neuen Herausforderungen“, sagt Bürgermeister Christian Wagner (CDU). Damit meint er den zweigleisigen Ausbau Strecke zwischen Kaldenkirchen und Viersen-Dülken. Das sei ein wichtiges Ziel. „Auch die Modernisierung des Personenbahnhofs, die Schaffung einer Park-and-Ride-Anlage und eines Busbahnhofes sollen dazu beitragen, dass Kaldenkirchen als wichtiger Verkehrsknotenpunkt präsent ist“, so Wagner.
Die außergewöhnliche Fahrt mit der Centralbahn endet in Kaldenkirchen. „Grund dafür sind die Gleisarbeiten in Venlo, das ist natürlich schade“, sagt der erste Vorsitzende des Bürgervereins, Heinz-Willi Schmitz. Deshalb hat der Bürgermeister von Venlo, Antoin Scholten, die Feierlichkeiten kurzerhand ins alte Kaldenkirchener Bahnhofsgebäude verlegt. Hier heißen die Gäste die Gründer Venlos Fluas und Guntrud mit einem Tanz auf dem Bahnhofvorplatz willkommen.
Bodo Gerdes kann die Klänge der Kapelle hören, sehen kann er weder die alte Bahn noch die Kostümierten, denn er ist seit seiner Kindheit blind. „Ich habe bei der Bahn in der Abteilung Schadensersatzansprüche gearbeitet, mir alles in Blindenschrift übersetzt“, erzählt Gerdes. Er hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis: So weiß er ganz genau, dass über dem Eingang ins Sechser-Abteil ein Regler für die Lautsprecher angebracht ist. Und auch, wo sich die Aschenbecher an den Sitzen befinden. Früher durfte während der Bahnfahrt geraucht werden, mancher Aschenbecher ist sogar noch voll. Auf die Fahrt mit dem Sonderzug hat sich der Pensionär schon lange gefreut: „Ich bin dieses Jahr schon 11 000 Kilometer mit der Bahn unterwegs gewesen, diese Fahrt ist etwas besonderes.“
Der Bürgerverein Kaldenkirchen hat viel Aufwand in die Festplanung gesteckt. Immer wieder wurde Heinz-Willi Schmitz gefragt, warum keine Dampflok eingesetzt wurde. „Diese Bahn hat rund 7000 Euro gekostet, eine Dampflok wäre um ein Vielfaches teurer gewesen“, so Schmitz. Fünf Euro pro Person kostete ein Ticket. Nach der Begrüßung am Kirchplatz folgte ein Festumzug zum Bahnhof, wo die feierliche Fahrt nach Viersen folgte. Viersens Bürgermeisterin Sabine Anemüller (SPD) empfing die Gäste dort auf Gleis 6. Besonders die Kinder waren sehr aufgeregt, denn so eine alte Bahn hatten sie sicherlich noch nie gesehen. Und wie am 5. November 1866 endete die Feier mit einem großen Feuerwerk.