125 Jahre Annahof: Auch Kinder haben ’was zu sagen
Sprecher und Stellvertreter sorgen in der Michaelgruppe des Heimes dafür, dass die jungen Bewohner bei Entscheidungen mitreden können.
Kempen. Auf einem Regalbrett, das so niedrig angebracht ist, dass jedes Kind es leicht erreichen kann, steht seit zwei Jahren ein wichtiger Bestandteil der Michaelgruppe. Eine gelbe Holzkiste mit der Aufschrift „Kummerkasten“. Kinder sollen mitreden im Annenhof. Und speziell in der Michaelgruppe, in der zurzeit neun Kinder im Alter von sechs bis 16 Jahren leben, werden Kinderrechte und Partizipation groß geschrieben. Erzieherin Lucy Okuhn hat sich dafür einige Strukturen überlegt.
„Bis vor zwei Jahren hatten wir hier zehn Kinder mit zehn verschiedenen Problemen“, sagt Okuhn. „Jeder war ein Einzelkämpfer. Das Miteinander hat gefehlt.“ Das ist heute völlig anders. Es gibt regelmäßige Gruppenabende, die ein Sprecher oder sein Stellvertreter leiten.
Alle sechs Monate wird neu gewählt. Jessica (13) ist bereits zum dritten Mal Sprecherin, Jennifer (13) ihre Vertreterin. „Ich habe mich zur Wahl gestellt, weil ich mich für die Probleme der Kinder hier interessiere und für alle ein offenes Ohr habe“, sagt Jessica. „Mittlerweile haben alle großes Vertrauen zu uns und erzählen uns von ihren Problemen.“ Oder sie schreiben sie auf Zettel und werfen sie in den gelben Kummerkasten.
Seit einiger Zeit ist ein blauer Kasten dazu gekommen. In diesen gucken allerdings nur die Gruppensprecher. „Der gelbe Kasten, in den wir Erzieher reinschauen, wird fast nicht mehr genutzt“, sagt Erzieherin Okuhn. „Mittlerweile regeln die Kinder die meisten Probleme unter sich.“
Das war auch das Ziel der jungen Pädagogin, die sich im Internet und auf Fortbildungen über Beschwerdemanagement informiert hatte. „Einige Ideen fand ich gut und habe sie mit in die Gruppe gebracht“, sagt sie. So auch den „Sprecherstein“, der neben den Kummerkästen liegt. „Wer den in der Hand hält, darf reden. Alle anderen müssen zuhören“, erklärt Jessica, die den Stein mit in die Gruppenabende bringt.
Einrichtungsleiter Herbert Knops: „Bis zu einem gewissen Grad schreibt das Jugendamt uns vor, die Kinder mitbestimmen zu lassen. Aber soweit wie die Michaelgruppe sind die anderen Gruppen im Annenhof noch nicht, was die Partizipation angeht.“
Beim nächsten Gruppenabend nach den Sommerferien will Jessica eine anonyme Umfrage zur Zufriedenheit der Kinder in der Gruppe starten. Vor zwei Jahren hatten die Erzieher bereits gefragt, wie wohl sich die Bewohner der Michaelgruppe fühlen. Damals war das Ergebnis mittelmäßig. „Es wäre interessant zu sehen, ob sich was geändert hat“, sagt die 13-Jährige.