Volkstrauertag Mahnmale gegen das Vergessen

Kempen. · Sieben Monumente erinnern in der Kempener Innenstadt an die Opfer der Kriege.

Das Umfeld der Kempener Burg ist bereits Gedenkstätte. An der Mauer zum Burggraben befinden sich Tafeln mit den im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten.

Foto: Wolfgang Kaiser

Kempens Gedenkkultur ist 107 Jahre alt. Am Sonntag, 7. Juli 1912, wurde auf dem Marktplatz der St.-Georgs-Brunnen eingeweiht – als Denkmal zu Ehren der Kempener Soldaten, die an den drei Kriegen teilgenommen hatten, durch die Deutschland geeint worden war: 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich, 1870/71 gegen Frankreich. Eingemeißelt sind hier die Namen von acht Kempenern und acht Schmalbroichern, mit denen die Stadt Kempen, wie es auf dem Denkmal heißt, „ihre für das Vaterland gefallenen Söhne“ ehrte. Der Beschluss zur Errichtung des Denkmals war ein Jahr zuvor gefasst worden, als zum 40. Mal der „Sedanstag“ begangen wurde – der Gedenktag an die Schlacht bei Sedan. Sie hatte am 2. September 1870 den entscheidenden Sieg der Deutschen über den französischen, wie man das damals nannte, „Erbfeind“ gebracht.

Der Georgs-Brunnen war jedoch nicht als Mahnmal gedacht, sondern als Siegessäule: als „Sinnbild furchtlosen Kriegermutes“, wie es damals in den Festreden hieß. Denn St. Georg, der das Böse in Gestalt des Drachen besiegt, galt in der frommen Stadt Kempen als Soldat Christi, als Identifikationsfigur der Krieger. Deshalb versammelten sich auch alljährlich die Wehrpflichtigen, wenn sie durch die vorangegangene Musterung in der Gaststätte Platen Ecke Peterstraße/Umstraße für „tauglich“, das heißt, zu „vollwertigen Männern“ erklärt worden waren, zu Füßen des streitbaren Heiligen zum Erinnerungsfoto. Bei den Paraden, die die sechs Kempener Kriegervereine zu festlichen Anlässen veranstalteten, nahmen militärische Größen am Georgsbrunnen den krachenden Vorbeimarsch der farbenprächtig uniformierten Stechschritt-Kolonnen ab.

Volkstrauertag wurde 1934 von Nationalsozialisten militarisiert

Nach dem 1918 zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieg wurde in der Weimarer Republik der Volkstrauertag eingeführt. Nun wurde der Georgsbrunnen zum Ziel der Ehrenabordnungen, die hier ab 1926 in nachdenklichen Feiern der Gefallenen gedachten – alljährlich am Sonntag Reminiscere, dem fünften Sonntag vor Ostern. Acht Jahre später änderte sich das friedliche Bild. 1934 wurde der Volkstrauertag von den Nationalsozialisten militarisiert – zum „Heldengedenktag“. Dessen Aufgabe war nun, das sinnlose Sterben des Weltkrieges zu glorifizieren. Alljährlich fand unter der Hakenkreuzfahne ein Aufmarsch der SA, anderer Parteiformationen und der Kriegervereine am Ehrenmal statt. Anschließend folgte, meist eingeleitet von den schmetternden Klängen des Badenweiler Marschs, eine militärisch gestaltete Feierstunde in einem Kempener Saal. Die Anwesenheit des Reichsarbeitsdienstes in der Kreisstadt Kempen seit 1936 steigerte den Feieraufwand mit Zapfenstreich und aufwändigen Fahnenaufmärschen.

Die europäische Geschichte lieferte den Kempenern weitere Anlässe, für das Vaterland zu sterben – und Gefallene zu ehren. 1912 war der städtische Georgsbrunnen errichtet worden, zwei Jahre später brach der Erste Weltkrieg los, 1918 ging er zu Ende. Bereits 1921 stellte die Kempener Kolpingfamilie im Garten des Gesellenhauses einen Reliefstein für die 1914 bis 1918 umgekommenen Kolpingsöhne auf, hergestellt von den Kempener Steinmetzen Fritz und Bernhard Messing. Er zeigt unter der Überschrift „Unseren toten Helden gewidmet“ einen gekreuzigten Christus, flankiert von einem Soldaten und einem Wandergesellen. Nach dem Abbruch des Hauses im Jahre 1981 bekam das Ehrenmal einen neuen Platz in der Nähe des heutigen Kolpinghauses in der Grünanlage am Hessenwall. Regelmäßig am 4. Dezember, dem Todestag Adolph Kolpings, sucht die Kolpingfamilie ihren Stein auf.

Ein weiterer Kempener Verein, die Vereinigte Turnerschaft, errichtete 1922 für seine gefallenen Mitglieder einen Gedenkstein zu Füßen der Burg. Kurz bevor 1938 der Wassergraben um die Burg durch den Reichsarbeitsdienst saniert wurde, wanderte das Turner-Mal auf den Sportplatz, den Ludwig-Jahn-Platz, wo es heute noch steht und wenig öffentliche Beachtung findet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sein Text aktualisiert: Die Namen der Gefallenen des Ersten Weltkrieges wurden durch die Inschrift ersetzt: „Unseren Helden zur Ehre/1914-1918/1939-1945“. „Helden“ zu ehren entsprach dem damaligen Bewusstsein.

Im Juli 1925 stellte der tief religiöse Bildhauer Jupp Rübsam, später ein Vorkämpfer gegen die Nationalsozialisten, in der Paterskirche neben der Tür ein Ehrenmal für die gefallenen Seminaristen des katholischen Lehrerseminars zu Kempen auf. Es zeigt den auferstandenen Erlöser mit einem am Boden liegenden Soldaten. Heute steht das bemerkenswerte Kunstwerk im Abseits eines Innenhofes, quasi unzugänglich und ganz verborgen an der Außenwand der Paterskirche. Schade – denn seine Aussage ist nach wie vor aktuell. Und sein künstlerischer Wert ist
beeindruckend.

Ehrenmal vor der Burg wurde
am 10. März 1940 eingeweiht

Eine Gedenkstätte für die gesamte Stadt Kempen stand noch aus. Erst nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 kamen Anregungen, vor der Burg ein Ehrenmal zu errichten, das freilich nicht zur Trauer aufrufen sollte, sondern dem Zeitgeist entsprechend zum Stolz auf die gefallenen Heldensöhne. Seine Einweihung fand am „Heldengedenktag“, 10. März 1940, statt. Die Zeremonie wurde mit militärischem Pomp durch Offiziere und Soldaten der 30. Infanteriedivision gestaltet. Deren Einheiten bereiteten sich gerade in und um Kempen auf den Überfall auf die neutralen Niederlande vor. Zum Ehrenmal vor der Burg marschierten bis zum Ende des „Dritten Reiches“ jedes Jahr am 9. November die Kempener Nationalsozialisten, um der Toten des Münchener Hitlerputsches von 1923 zu gedenken. Hier wurden auch die Hitlerjungen der Kempener Feuerwehr, die die an die Front gegangenen erwachsenen Wehrmänner ersetzen sollten, auf den „Führer“ vereidigt.

Nach dem Krieg fanden dort die Gedenkfeiern zum Volkstrauertag statt. Dabei sah man nicht die Gefahr, dass man unter dem Leitmotiv „Den Helden des Weltkrieges“ eine Heroisierung des Krieges übernahm, der man sich eigentlich nicht mehr anschließen wollte.

54 Jahre mussten vergehen, bis man in Kempen das nationalsozialistisch inspirierte Krieger-Ehrenmal erklärungsbedürftig fand. Umgestalten wollte man die Anlage nicht, denn mittlerweile war sie ja selbst zu einem Denkmal geworden – wenn auch einer düsteren Zeit. Daher ist auf einer Bild-Text-Tafel neben dem NS-Basaltblock unter dem zerschossenen Gesicht eines Soldaten ein Kommentar zu lesen: „In keinem Krieg gibt es Helden. Es gibt nur Opfer. Die Stadt Kempen am 17. September 1995.“

Seit dem Volktrauertag 2012 gibt es vor der Burg 18 Gedenktafeln

Durch Vandalismus ist die Tafel seit geraumer Zeit lädiert. Um sie wiederherzustellen, geschieht bislang nichts. Immerhin hat in der letzten Denkmalausschuss-Sitzung am 30. September die Verwaltung zugesagt, sich darum zu kümmern. Abwarten, ob das was bringt. Und die Toten des Zweiten Weltkrieges? Erst 1960, am Tag der deutschen Einheit, dem 17. Juni, weihte der Kempener Heimkehrerverband an der Stelle, wo am 10. Februar 1945 das Zentrum des schwersten Luftrangriffs auf die Stadt gelegen hatte – an der Mündung der Ellenstraße zum Möhlenring hin – einen schlichten Gedenkstein ein. Er erinnert an alle Toten des Zweiten Weltkrieges und auch an die Opfer des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in der damaligen DDR. Vom Begriff „Helden“ war man mittlerweile abgekommen.

Am Volkstrauertag 2012 schließlich wurden vor der Burg durch eine Bürgerinitiative unter Leitung des mittlerweile verstorbenen Metzgermeisters Robert Koth 18 Gedenktafeln eingeweiht, die die 676 Opfer des Zweiten Weltkriegs ganz konkret mit ihren Namen und Daten dokumentieren. Dabei ist vom Gedenkstein am Möhlenring die Inschrift „Euer Opfer sei uns Mahnung zum Frieden“ übernommen
worden.