Ein bayerischer Blick auf die abendliche Altstadt
Eine WZ-Praktikantin aus Bayreuth hat sich Kempen angeschaut. Sie schwärmt vom südeuropäischen Flair der Gassen.
Kempen. Es wird dunkel und die Temperaturen an diesem Abend sind noch recht frisch. Mit Wollmütze und Jacke treffe ich, WZ-Praktikantin aus Oberfranken, am Franziskanerkloster auf sieben andere Stadt- und Geschichtsinteressierte. Freundlich empfängt Stadtführer Gustaaf Gijsemans die Teilnehmer des Rundgangs durch die Altstadt und fängt sofort an mit seiner Zeitreise durch die Geschichte der Thomasstadt.
Am Franziskanerkloster beginnt der „hängengebliebene Belgier“, wie er sich selbst nennt, mit einer Geschichte, die für die Gastfreundschaft der Kempener steht. Vor einigen Jahrhunderten kamen verschiedene Volksstämme aus allen Teilen der Welt nach Kempen. Damit diese merkten, dass sie herzlich willkommen waren, wurde am Kloster ein Schild angebracht, auf dem in altenglischen Runen „Welcome to the Kempen“ zu lesen war.
Jahrhunderte später spielten sich beim Kloster ganz andere Szenen ab. Die Kirche war 1517 von der Reformation betroffen, und der Protestanten-Anteil stieg auf 50 Prozent. Das war den erzbischöflichen Vertretern zu viel Modernisierung auf einmal, weswegen die Ausübung des protestantischen Glaubens bestraft wurde.
Auf dem Weg zur Burg bemerkt die Gruppe, warum sich die abendliche Stadtführung besonders lohnt: Franziskanerkloster, Paterskirche und die kurkölnische Festung werden angeleuchtet, was bei Dunkelheit besonders beeindruckend wirkt.
Die Geschichte zur Burg ist hörenswert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hielt sich die amerikanische Armee dort auf. „Passt auf, wenn die Schwarzen kommen“, hatten die Nazis vor Kriegsende gewarnt. Die ortsansässige Jugend interessierte das aber nicht mehr. Sie freundete sich mit den Soldaten an und bekam Kaugummis und anderes geschenkt.
„Es ist schade, dass sich heute nur noch das Stadt- und Kreisarchiv in der Burg befindet. Die Räumlichkeiten könnten sicher festlicher genutzt werden“, diese Gedanken schießen mir durch den Kopf.
Angekommen im Kulturforum Franziskanerkloster freue ich mich über den Bezug zu meiner Heimat: Der Kurfürst von Bayern sagte bei einem Besuch 1745 Unterstützung für die erneuerungsbedürftige Kirche zu — deswegen tragen die Fliesen im Rokokosaal die Nationalfarben der Bayern: Blau und Weiß.
Die Tiefstraße und die Alte Schulstraße erinnern an den warmen Süden Europas. Die engen Gässchen und die schmalen Häuser ähneln denen Italiens und entlocken somit den Teilnehmern der Gruppe ein paar sommerliche Gedanken. Als jedoch das unebene Kopfsteinpflaster der Tiefstraße vor ein paar Jahrhunderten komplett unter Wasser stand sobald es regnete, versuchte jeder sich vom tiefsten Punkt der Stadt fernzuhalten.
Ein schönes Zeichen, das die Kempener gesetzt haben, ist der Engel der Kulturen. Die in den Boden eingelassene Platte, die zur friedlichen Koexistenz der Religionen aufruft, fällt bei Dunkelheit jedoch leider kaum auf. Hätte Gijsemans den Blick der Gruppe nicht auf die Platte gelenkt, wären die meisten darüber gelaufen ohne sie zu bemerken.
Nach zwei Stunden haben wir die Propsteikirche erreicht. „Der Glaube war der Anker für die Leute. Auch in Zeiten der Pest spendete er ihnen Kraft“, erklärt Gijsemans. Das ist ein Grund für die religiöse Geschichte Kempens.
Am Ende sind die Teilnehmer der Gruppe begeistert und Gijsemans bekommt Applaus und ein Trinkgeld „für ein, zwei Glühwein“. Denn obwohl die meisten Gesichter inzwischen eine rote Nase ziert, hat jeder die Stadtführung — trotz der frischen Temperaturen — sichtlich genossen.