Ein Kind im Waggon nach Theresienstadt
Die jüdische Zeitzeugin Edith Bader-Devries sprach am Jahrestag der Pogromnacht in Kempen — und rührte zu Tränen.
Kempen. Die beiden Kerzen vor dem Mahnmal an der Kempener Umstraße flackern im Wind. Die ältere, etwas gebückt am Rollator gehende weißhaarige Dame ist unauffällig. Sie könnte eine der vielen Besucher sein, die der Einladung des Kempener Geschichts- und Museumsvereins gefolgt sind und an der Gedenkfeier zur Reichspogromnacht teilnehmen.
Doch es ist die Holocaustüberlebende Edith Bader-Devries, die von der Vereinsvorsitzenden Ute Lueb als Gastrednerin für die Veranstaltung gewonnen werden konnte. „Ich freue mich, dass so viele Leute da sind und Interesse an unserem Leben und dem was war, zeigen.“ So beginnt die heute in Düsseldorf lebende Jüdin die Gedenkfeier. „Am 9. November brannten Gotteshäuser, wurden Geschäfte und Wohnungen verwüstet, Juden umgebracht und verhaftet.“
Dann erzählt sie ihre Geschichte. Bader-Devries zeichnet vor den Augen der über 200 Zuhörer ein Bild. Man sieht sie als sechsjähriges Mädchen, wie sie mit einem kleinen Rucksack, in dem ihre drei Lieblingspuppen stecken, mit ihren Eltern am 25. Juli 1942 in Weeze in einen Waggon steigt, der sie ins Konzentrationslager Theresienstadt bringen wird.
Im Zug verliert sie ihren Rucksack und damit etwas, das ihr am Herzen liegt. Ein erster schicksalhafter Moment, dem sich unzähligen weitere anschließen. „Was ich gesehen habe war grausam. Aber man gewöhnt sich daran. Es war normal, das Tote in dem Raum lagen, in dem ich schlief“, erzählt sie.
Die 82-Jährige spricht davon, wie sie für ihre Eltern und sich Essen organisierte. Sie sammelte Kartoffelschalen und stahl. Das Leben mit 35 Erwachsenen in einem Zimmer, die Tatsache, dass es keine Kinder gab, die ihre Spielkameraden sein konnten, die Vorsicht ihrer Mutter, der Lebensmut des Vaters — die mit leiser Stimme vorgetragenen Schilderungen berühren die Herzen. So mancher Besucher wischt sich verstohlen die Tränen aus dem Gesicht.
Bader-Devries weiß, dass Mut schwierig ist. Wenige Menschen haben Mut, aufzustehen und zu helfen. „Wir alle müssen drauf achten, dass so etwas nie wieder vorkommt. Wehret den Anfängen. Es gibt wieder Menschen, die unvernünftig sind, und dann geschieht erneut großes Leid“, warnt die Holocaustüberlebende eindringlich. Man müsse Achtung vor jedem Menschen haben und auch Verständnis dafür, was Menschen in ihrer Not tun, fügt sie an.
Dass Menschen aktuell so leiden, berührt sie tief. In jedem Kind auf der Flucht, sieht sie sich selber. „Ich bin dankbar für mein geschenktes Leben und ich kann es nicht lassen, zu berichten. Man vergisst so leicht das Leid der anderen. Ich spreche für die Menschen, die nicht mehr leben. Solange ich kann werde ich von dieser schlimmen Zeit erzählen“, sagt Bader-Devries. Wichtig ist ihr, dass nicht Hass die Triebfeder für ihren Einsatz ist. bt