Analyse AfD: Gottschalk entdeckt den Heimatkreis

Kreis Viersen · Die rechtspopulistische Partei stellt sich im Kreis Viersen neu auf. Denn rund 20 Monate vor der Kommunalwahl mangelt es an Strukturen. Eine Analyse zum Zustand des Kreisverbandes.

Kay Gottschalk bei einer Rede in Krefeld am 25. Januar 2018. Damals hatte er mit seinem Boykott-Aufruf türkischer Geschäfte für Aufsehen gesorgt. Der aus Hamburg stammende Politiker sieht sich selbst als AfD-Abgeordneter für den gesamten Niederrhein. Er kümmert sich in Berlin nach eigenen Angaben um die Belange der Kreise Viersen und Kleve sowie der Städte Mönchengladbach und Krefeld. Dies sei auch der Grund, warum sein Wahlkreisbüro in Krefeld ist.

Foto: Bischof, Andreas (abi)

Im Vergleich zu anderen Regionen in NRW spielt die Alternative für Deutschland (AfD) in den Kommunalparlamenten des Kreises Viersen keine große Rolle. Lediglich im Nettetaler Stadtrat sitzt mit Lothar Kronauer ein letztes fraktionsloses AfD-Mitglied, das sich mit seinen beiden Kollegen Dirk Schlomski und Manfred Schmitz verkracht hatte – daraufhin verließen diese die AfD und gründeten die Fraktion „Die Blaue Partei“. Eine ähnliche Entwicklung gab es im Viersener Kreistag. Dort waren Hermann Rubbert und Klaus Neutzling für die AfD ins Parlament gezogen. Später gingen sie wegen des Rechtsrucks in der Partei auf Distanz zur AfD und bilden nun die Fraktion „Freie Alternative im Kreistag Viersen“.

Im Herbst 2020 dürfte mit
der AfD zu rechnen sein

Soweit zum Ist-Zustand in den Parlamenten. Mit Blick in die Zukunft und auf den derzeitigen Bundestrend der AfD dürften sich die übrigen Kommunalpolitiker allerdings darauf einstellen, dass die AfD ab Herbst 2020 in mehreren Räten des Kreises sitzen wird. Zumal die Sperrklausel von 2,5 Prozent keine Rolle mehr spielt. Gut 20 Monate vor der Kommunalwahl stellt sich die AfD derzeit im Kreis Viersen personell neu auf. Und zwar jüngst bei einer Mitgliederversammlung in Nettetal, zu der die Presse allerdings nicht eingeladen war.

Im Zentrum der Neuaufstellung steht der Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk: der frühere Hamburger, der vor der Bundestagswahl 2017 in den Kreis Viersen gewechselt war, um hier um ein Direktmandat in Berlin zu kämpfen. Das Mitglied des AfD-Bundesvorstands wurde nach Angaben der Partei nun mit 42 von 43 Stimmen zum Kreissprecher gewählt.

Er freue sich auf seine neue Aufgabe in seiner „Heimatstadt Viersen“, wie seine persönliche Referentin Corinna Bülow schriftlich mitteilt. Auf Nachfrage der WZ stellt sie jedoch klar, dass Gottschalk seinen Wohnsitz weiterhin in Nettetal und eben nicht in Viersen habe. In der ursprünglichen Mitteilung sei der „Heimatkreis“ gemeint gewesen.

Um Gottschalk herum arbeitet im Kreis Viersen nun ein neues Team, das sich im Vergleich zur jüngsten Aufstellung auf der AfD-Homepage deutlich verändert hat. Nicht mehr an Bord ist der bisherige Sprecher – so heißen die Vorsitzenden in der AfD – Axel-Joachim Bähren aus Lobberich. Dieser hatte es landesweit in die Schlagzeilen geschafft, weil er sich als ehemaliger evangelischer Gefängnispfarrer um ein Landratsmandat für die rechtspopulistische Partei bewarb. Er schaffte es aber letztlich nicht in den Landtag.

Ebenfalls keinen Vorstandsposten mehr haben „Frau Elschner“ und „Herr Reulen“ (beide bislang stellvertretende Sprecher und ohne Vornamen auf der Internetseite angegeben) sowie die bisherigen Schatzmeister Herbert Fänger und „Herr Nonn“. Auch die Beisitzer Marco Jung, Horst Fänger und „Frau Fiebig“ tauchen nun nicht mehr auf der AfD-Vorstandsliste auf.

Unternehmer und Rentner
sind nun im Vorstand

Dafür hat ein anderer Beisitzer nun einen neuen Posten: Der schon erwähnte Lothar Kronauer ist ab sofort stellvertretender Sprecher. Der Rentner wohnt in Nettetal und ist nach Angaben mehrerer Ratsmitglieder aus der Seenstadt als „politisch stramm rechts“ einzuordnen. Ein weiterer Stellvertreter ist der Grefrather Burkhard Laborius. Dieser ist nach Angaben der AfD seit Januar 2018 Vorsitzender des Ortsverbandes Kempen-Grefrath.

Neuer Schatzmeister auf Kreisebene ist laut AfD-Mitteilung Stefan Mangerich aus Nettetal. Sein Stellvertreter ist der Grefrather Herbert Meiers-Fischer, der Inhaber des Maschinenbauunternehmens Sinus-Schneidgeräte, Vitusstraße 8 in Oedt, ist. Mit Kurt Gebhardt hat die AfD einen weiteren Unternehmer als Beisitzer im Vorstand. Der Tönisvorster ist Inhaber des St. Töniser Unternehmens CNC Technik, das nach eigenen Angaben auf die Fertigung von Metallteilen spezialisiert ist.

Kempener Meusen als Wahlkampfhelfer in Thüringen

Und dann folgen in der Mitteilung aus dem Gottschalk-Büro noch die Beisitzer Robert Klaßen (Niederkrüchten) und Marco Meusen (Kempen). Der vierte Beisitzerposten ist noch verwaist. Dazu Kay Gottschalk auf seiner Facebook-Seite: „Einen Beisitzer konnten wir leider noch nicht wählen.“ Wenn dies geschehen ist, werde es dann auch mal ein Foto des Vorstands geben.

Marco Meusen ist auch im Kempen-Grefrather Ortsverband als Beisitzer aktiv. Ebenso im Bezirksverband Düsseldorf der Jungen Alternative – nach Angaben auf der Homepage der „JA“. Diese Jugendorganisation der AfD wird in Bayern vom Verfassungsschutz beobachtet. Beim Blick auf die Facebook-Seite von Meusen wird deutlich, dass dieser für die AfD nicht nur im Kreis Viersen aktiv ist. So hat er sich sogar am Kommunalwahlkampf in Thüringen beteiligt.

Gepostet werden von Meusen auch regelmäßig Bücher, die er liest. Dazu gehören mehrere aus dem Kopp-Verlag, der früher mit Ufo-Lektüren Geld verdient und im Zuge der Flüchtlingskrise ein breites Publikum im AfD- und Pegida-Lager entdeckt hat. Meusen präsentiert bei Facebook Kopp-„Werke“ wie „Die Destabilisierung Deutschlands. Der Verlust der inneren und äußeren Sicherheit.“ oder „Abschied von Deutschland. Eine politische Grabschrift“. Ebenso zählen Bücher von Thilo Sarrazin und AfD-Rechtsaußen Björn Höcke zu den Lese-Tipps des Kempeners.

Zurück zum Zustand der AfD im Kreis Viersen. Auf Anfrage erhielt die WZ von Gottschalk-Referentin Bülow aktuelle Zahlen. Demnach hat die AfD im Kreis Viersen 108 Mitglieder. 43 davon seien bei der Versammlung am vergangenen Freitag in einer Nettetaler Gaststätte gewesen. Den Namen der Versammlungsstätte zog Corinna Bülow übrigens im Nachgang zurück – „aus Angst, das Restaurant als Veranstaltungsort zu verlieren“.

Ortsverbände gibt es nach Angaben der Referentin innerhalb des Kreises Viersen nur zwei. Einen in Nettetal mit 26 Mitgliedern und einen kombinierten Verbund in Kempen und Grefrath mit 15 Mitgliedern – so zumindest die Angaben der Partei. Um tatsächlich im Herbst 2020 in mehrere Räte in den Städten und Gemeinden einzuziehen, muss die AfD im Kreis Viersen also noch einiges an Strukturen schaffen. Glaubt man den Worten des Wahl-Nettetalers Gottschalk soll dies auch geschehen: „Es ist mir sehr wichtig, meinem Heimatkreis Viersen etwas zurückgeben zu können und unseren Kreisverband besonders auf die anstehenden Kommunalwahlen gut vorzubereiten.“

Dazu passt, dass Gottschalk von Berlin aus offenbar vermehrt ein Auge auf kommunalpolitische Aspekte wirft. So gab es vor Weihnachten zwei Pressemitteilungen zu Themen in Kempen und Grefrath. In der einen ging es um die Diskussion um das St. Huberter Begegnungszentrum. In der anderen um die geplante Schließung des Oedter Bürgerservices. Diese hielt Gottschalk in seiner Stellungnahme vom 17. Dezember nicht für angemessen – er forderte von Bürgermeister Manfred Lommetz „eine stundenweise Öffnung der Servicestelle“. Dabei hatte Lommetz eine vergleichbare Lösung schon in Aussicht gestellt: Für behinderte Menschen werde eventuell der Service angeboten, dass Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung diese zu Hause besuchen. Auch will die Gemeinde in Oedt die Möglichkeit eröffnen, dort Papiere abgeben zu können, die dann ins Grefrather Rathaus weitergeleitet werden“ (WZ, Print-Ausgabe, 15. Dezember 2018).