Kempen Erinnerung an Soldaten-Kunst

Das ist für Kempen wohl einzigartig: Im Haus von Ulrike Kohlen am Donkring gibt es ein Zimmer, dessen Wände offenbar mit Zeichnungen des britischen Militärs verziert sind.

Kempen. Wenn Peter Kohlen morgens aufwacht, blickt er in die hübschen Gesichter dreier Schmetterlingsmädchen auf der Wand über ihm, die ein englischer Soldat im Laufschritt mit einem Netz einzufangen versucht.

Peter Kohlen ist 88 Jahre alt. Damit ist er rund 18 Jahre älter als das Wandbild, das seinen Erdgeschossraum im Haus seiner Tochter Ulrike, Donkring 21, auf außergewöhnliche Art und Weise verziert. Kunstvoll. Da hat sich jemand verewigt, der mit Pinsel und Farbe umzugehen wusste. Wer? Das ist die Frage.

„Das ist Kommiss-Kunst“ sagt Senior Kohlen. Denn die Zeichnung, davon ist Familie Kohlen überzeugt, muss von einem unbekannten britischen Soldaten stammen, der nach April 1945 in Kempen stationiert war. „Hier in dem Raum soll ein Pub oder ein Casino für die britischen Soldaten gewesen sein.“

Die aufgemalte Szene ist nicht die einzige, die die Gedanken von Besuchern in dem 25 Quadratmeter großen Zimmer in die frühe Nachkriegszeit abdriften lässt. Neben dem sehnsuchtvollen Schmetterlingsfänger hebt ein Heißluftballon ab, darin wieder ein Soldat und ein hübsches Mädchen.

Auf der Wand gegenüber hockt eine Schöne auf drei Pfählen im Wasser und angelt sich mit einem Herz-Köder einen dicken Fisch. Eines der zarten, geradezu federleichten Wandgemälde auf Putz funktioniert über zwei Ecken — auf der einen Seite sind Schulter an Schulter zwei Soldaten zu sehen. Sie beobachten mit schelmischem Blick eine schlanke Schöne, die den Saum ihres kurzen blauen Kleides gehoben hat, um ihr Strumpfband zu richten.

„Wir vermuten, dass die Bilder von englischen Postkarten abgemalt worden sind“, sagt Uli Kohlen. Konkreteres hat ihre spontane Recherche vor Jahren nicht hervorgebracht. Die Motive, vermutet sie, sollten „die Moral der Soldaten pushen“. Signiert sind die Bilder nicht. Nach der Entdeckung hatte sie Stadt, Stadtarchiv und Denkmalschutz auf die ungewöhnlichen Zeichnungen aufmerksam gemacht.

Nun bekommt die Frage nach dem „Wer hat’s gemalt“ neuen Auftrieb. Denn der Kempener Stadtführer Gustaaf Gijsemans hat jetzt, 15 Jahre nach ihrer Wiederentdeckung, von den 70 Jahre alten Zeichnungen erfahren und ist begeistert. „Sie sind wunderschön. Doch die wenigstens wissen davon. Dabei sind sie einzigartig für ein Privathaus in Kempen, vielleicht sogar für ganz Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus.“

Jahrzehnte waren die Zeichnungen unter mehreren Tapetenlagen verborgen. Erst als Ulrike Kohlen und Ivo Gilbert das Haus Anfang des Jahrtausends erwarben und nach und nach die Räume renovierten, kamen die Motive wieder ans Licht. „Im Herbst 2001 haben wir beim Tapetenabreißen eine Zeichnung entdeckt und uns dann ganz vorsichtig weiter durch den Raum gearbeitet“, erzählt Ulrike Kohlen.

Durch die Tapetenlagen hatten die Zeichnungen gelitten, wiesen weiße Flächen, Riefen und Löcher im übermalten Putz auf. Die Familie hat ob der historischen Besonderheit und der Qualität des Fundes alle Bilder von einem befreundeten Restaurator wieder herrichten lassen. Peter Kohlen: „Andere wären vielleicht mit dem Quast drüber gegangen.“ Weitere Bilder wurden im Haus nicht gefunden.

Der Kempener Experte Hans Kaiser ordnet Zeit und Fundstelle historisch ein: Am 3. März 1945 hatte das 2. Bataillon des US-Infanterieregiments 333 Kempen besetzt. Ende April 1945 lösten die Engländer die Amerikaner als Besatzungsmacht in der Stadt ab. „Während der amerikanische Commander vorwiegend militärische Befehlsgewalt hatte, stellte sein englischer Nachfolger bald den Repräsentaten einer neu errichteten Militärregierung dar, die für die britische Besatzungszone in Deutschland zuständig ist.“ Der deutsche Landrat sei nicht viel mehr als ein Befehlsempfänger des britischen Kommandanten gewesen. „Der residierte im Haus Hersfeldt am Donkring 36.“

Die Villa Hersfeldt ist 1981 abgebrochen worden. Als sie noch Sitz der britischen Militärregierung in Kempen war, soll der Vordereingang für Militär und Behörden reserviert gewesen sein. Die Zivilbevölkerung hatte die Hintertür zu benutzen.

Im Haus Donkring 21, dem Haus von Familie Kohlen, müssen, sagt Kaiser, „britische Soldaten im Dienst der Militärregierung untergekommen sein, wahrscheinlich untergeordnete Dienstgrade wie Fahrer, Köche, Sicherheitskräfte etc. Von ihnen könnten die Grafitti stammen.“