Ermittlungen gegen 25-jährige Erzieherin Grausame Gewalt in Kitas im Kreis Viersen und in Krefeld
Kreis Viersen/Krefeld · Unter Verdacht: Die 25-jährige Erzieherin wird mit etlichen Taten in Verbindung gebracht. Ein Mädchen starb. Motiv ist unklar.
Das, was die Ermittler am Donnerstag im Polizeipräsidium Mönchengladbach mitzuteilen hatten, macht fassungslos. Die Mordkommission ist davon überzeugt, dass eine 25-jährige Erzieherin ein Mädchen in einer Viersener Kita getötet hat. Obendrein sind die Ermittler offensichtlich auf eine Serie von Gewalttaten an Kindern gestoßen. Vor dem mutmaßlichen Mord im April in Viersen hat die Frau nach bisherigem Ermittlungsstand zwischen 2017 und 2019 in Krefeld, Kempen und Tönisvorst mehrere Kinder so schwer verletzt, dass sie womöglich dem Tod nur knapp entgangen sind. Immer ging es um Atemnot. Immer geschahen die Taten, während die Kinder schliefen. Immer ging es um Kinder, die laut Aussagen von Eltern und anderem Kita-Personal stets kerngesund und munter waren.
Den Ausgangspunkt der grausamen Serie sieht die Polizei während des Anerkennungsjahrs in einer Kita der Stadt Krefeld zwischen den Sommern 2017 und 2018. „Wir müssen derzeit davon ausgehen, dass es erstmals im November 2017 zu einem möglichen Übergriff auf ein Kind gekommen ist“, so Manfred Joch, Leiter der Kriminalpolizei Mönchengladbach. Ein dreijähriger Junge, der apathisch im Schlafraum lag, konnte im Krankenhaus gerettet werden. Weitere Krefelder Fälle vermutet die Polizei im Frühjahr 2018. In allen Verdachtsfällen wird aber noch ermittelt.
Es folgte ein Dienstjahr der Erzieherin in einer Kempener Kita. Dort ermittelt die Polizei derzeit in vier möglichen Fällen, hieß es am Donnerstag. So im Fall eines zweijährigen Jungen, der mit einem Atemstillstand ins Krankenhaus gebracht wurde und dort überlebt hat. Laut Guido Roßkamp, Leiter der Mordkommission, müssen aber noch sämtliche medizinischen Unterlagen ausgewertet werden, um möglicherweise mehr Erkenntnisse gewinnen zu können.
In Viersen und Tönisvorst sehen Ermittler den Verdacht bestätigt
Deutlich weiter in den Ermittlungen sind die Polizisten bei einem Fall, der sich am 29. Oktober 2019 in einer Tönisvorster Kita zugetragen haben soll. Auch hier war es ein zweijähriger Junge, der nach Problemen mit der Atmung von einem Arzt behandelt werden musste. Aufgrund der nun getätigten Aussagen des Vaters des Jungen geht die Polizei von der Tat der Erzieherin aus.
Im Nachgang habe das Kind erklärt, dass die Erzieherin „hart auf den Bauch gedrückt“ habe. In Tönisvorst, wo die Erzieherin nach einigen Wochen die Probezeit nicht überstanden hat, lautet der Tatvorwurf „Misshandlung von Schutzbefohlenen, die möglicherweise in Tateinheit mit Körperverletzung steht“.
In Viersen, wo die 25-Jährige nach wenigen Monaten offenbar selbst wieder gekündigt hat, lautet der Vorwurf „heimtückischer Mord“. Dort hat die zum Tatzeitpunkt zweijährige Greta ein Schicksal erlitten, das bereits seit vergangener Woche unzählige Menschen bewegt. Am 21. April hatte das Kind nach einer Corona-bedingten Pause seinen ersten Kita-Tag in der Notbetreuung. Teilweise alleine in einem Gruppenraum mit seiner späteren Mörderin. Gegen 13.20 Uhr will die Frau das Kind zum Schlafen hingelegt haben. Gegen 14.45 Uhr soll sie Kolleginnen informiert haben, dass Greta leblos wirkt. Das war sie auch. Der Notarzt kann das Mädchen zwar reanimieren. In der Viersener Kinderklinik wird sie aber nur per maschineller Atmung am Leben gehalten. Am 4. Mai, einen Tag nach ihrem dritten Geburtstag, stirbt Greta.
Zu diesem Zeitpunkt ermittelt die Polizei schon in alle Richtungen, weil die Klinik am 29. April einen Hinweis gegeben hat. „In den ganzen Tagen war es medizinisch schwer festzustellen, was passiert ist“, begründete Ermittler Roßkamp am Donnerstag die Phase zwischen Tat und Reaktion der Mediziner. Es begannen Zeugenvernehmungen, in denen auch die 25-Jährige befragt wurde. Ihre Aussage, dass Greta schon beim Auffinden „rote Pünktchen“ in den Augen hatte, erhärtet aus Sicht der Polizei den Tatverdacht. Diese Reaktion sei einem Sauerstoff-Mangel durch massive Gewalteinwirkung geschuldet – dies habe auch die Obduktion bestätigt.
Seitdem die 25-Jährige offiziell Beschuldigte im Verfahren ist, schweigt sie zu den Vorwürfen. Auf Anraten ihres Rechtsbeistands, wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag sagten. Daher ist das Motiv der Frau unklar. Polizeilich ist die Frau bislang nur einmal in den Akten aufgetaucht. Wegen einer offenkundig durch sie erfundenen Tat. Im Mai 2019 soll es bei einem Waldspaziergang der Frau zu einer Art Überfall durch einen Mann gekommen sein, schilderten die Ermittler am Donnerstag. Die Verletzungen, die dabei entstanden sein sollen, habe sich die Erzieherin aber selbst zugefügt. Im Nachgang zu diesen Ermittlungen sei ihr zu psychologischer Hilfe geraten worden. Ob sie diesem Rat nach Einstellung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Kleve gefolgt ist, ist unklar. „Das wissen wir nicht“, sagte Roßkamp.
Klar scheint indes, dass die 25-Jährige während ihrer Arbeitszeit schlechte Leistungen abgeliefert hat. „In der Krefelder Kita, wo sie das Anerkennungsjahr absolviert hat, war der Leitung schon nach kurzer Zeit klar, dass die Frau anscheinend für den Beruf wenig geeignet ist“, sagte Manfred Joch, Leiter der Kriminalpolizei, zu den bisherigen Vernehmungen des Krefelder Personals. Sie habe keinen Zugang zu den Kindern bekommen und habe wenig Empathie aufbringen können. Dennoch machte sie letztlich nach dem Jahr in Krefeld den staatlichen Abschluss zur Erzieherin an einer Berufsschule. Seitens der Krefelder Kita sei ihr aber bescheinigt worden, „wenig geeignet zu sein“, so Manfred Joch.
In Kempen werden medizinische Befunde noch ausgewertet
Zum 1. August 2018 konnte sie trotzdem eine Stelle als Erzieherin bei der Stadt Kempen antreten – ausgestattet mit einem Jahresvertrag, der dann im Sommer 2019 wegen mangelnder Qualifikation nicht verlängert wurde. Warum die Stadt Kempen die offenbar wenig geeignete Erzieherin eingestellt hat, ist offen. Zum Bewerbungs- und Auswahlverfahren machte die Stadt am Donnerstag auf Anfrage vage Angaben: „Die Erzieherin hat bei ihrer Einstellung neben ihrer Urkunde als staatlich anerkannte Erzieherin ihr Berufsschulzeugnis vorgelegt sowie ein polizeiliches Führungszeugnis. Es ist nicht üblich, dass ein formelles Zeugnis von der Einrichtung, in der das Anerkennungsjahr absolviert wurde, ausgestellt wird.“
Zu den Vorfällen mit den verletzten Kindern selbst muss sich die Stadt mit Blick auf laufende Ermittlungen noch zurückhalten. Dazu gab es am Donnerstag folgende Stellungnahme von Bürgermeister Volker Rübo: „Es gab in einer städtischen Kindertagesstätte Vorkommnisse, bei denen ein Kind mehrfach Atembeschwerden hatte und der Rettungswagen alarmiert werden musste. Das Kind wurde in eine Kinderklinik gebracht und dort behandelt. Weitere Angaben kann ich nicht machen, da die Unterlagen aus den Krankenhäusern durch die Staatsanwaltschaft noch überprüft werden.“