Mircos Eltern sprechen über den Verlust des Kindes „Wir hassen den Täter nicht“

Grefrath/Anrath · Die Eltern des kleinen Mirco aus Grefrath erzählten, wie sie es schafften, dem Mörder ihres Sohnes zu verzeihen.

Sandra und Reinhard Schlitter lasen Textpassagen aus ihrem Buch, erzählten aber auch viel frei von dem Albtraum, den sie durchgemacht haben.

Foto: Norbert Prümen

Ihr Lächeln ist herzlich, die beiden strahlen eine innere Ruhe aus. Nichts deutet darauf hin, was Sandra und Reinhard Schlitter vor nunmehr 14 Jahren durchgemacht haben. „Wir haben den Blick nach vorne geworfen und sind im Leben weitergegangen“, sagt Sandra Schlitter, kaum dass sie an das Mikrofon im Gemeindesaal der evangelischen Kirchengemeinde Anrath-Vorst getreten ist.

Schon mit diesem Satz hat sie die Aufmerksamkeit der rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörer, die der Einladung der Kirchengemeinde gefolgt sind. Unter dem Titel „Verlieren, verzweifeln, verzeihen“ sprechen die Schlitters über den Verlust ihres Sohnes Mirco und erzählen, wie sie damit umgegangen sind.

Verschwinden löste bislang größte Suchaktion in Deutschland aus

Der damals Zehnjährige verschwand am Abend des 3. September 2010, nachdem er einen Skatepark in Oedt besucht und sich auf den rund fünf Kilometer langen Heimweg nach Grefrath gemacht hatte. Das Verschwinden löste die bislang größte Suchaktion in Deutschland aus. Nach 145 Tagen Hoffen, Bangen und Beten stand fest: Mirco wurde entführt, missbraucht und ermordet.

Genau an diesen Abend gehen die Schlitters zurück. „Am 3. September 2010 hat Grefrath seine Unschuld verloren“, liest Sandra Schlitter aus dem Buch „Mirco: „Verlieren, verzweifeln, verzeihen“ vor, in dem sie und ihr Mann sich zwei Jahre nach dem Mord an ihrem Sohn mitteilten. Sie beschreibt die Gefühle, die sie mit Grefrath verband: Eine Gemeinde, die etwas Beschützendes für sie hatte, ihr Sicherheit gab und „ein Kind zu entführen, nicht zu dieser Realität gehörte“.

Die beiden lesen abwechselnd Textpassagen aus dem Buch vor, erzählen aber auch viel frei von dem Albtraum, den sie durchgemacht haben. Der Wunsch, die eigenen Kinder, zu denen neben Mirco ein weiterer Sohn und zwei Töchter gehören, zu selbstständigen Menschen zu erziehen und die Gefahren der damit verbundenen Freiheit überschaubar zu halten, führt zu dem Punkt, an dem „viele Familien zerbrechen, denen etwas Schlimmes passiert“, wie es Reinhard Schlitter beschreibt. Es geht nicht um Schuldzuweisung. „Wir haben uns nicht gegenseitig die Schuld zugewiesen und einen Sündenbock gesucht. Das hilft nicht weiter. Vielmehr haben wir uns in den Arm genommen und einander zugewandt, statt sich abzukapseln“, berichtet der Grefrather.

Dies und das Gebet, ob nun allein oder im Kreis der Menschen, die sie umgaben, habe ihnen Halt gegeben, fügt er an. Sätze wie „Ach, hätten wir doch“, beschreibt der Familienvater als sinnlose Gedanken, die in eine gedankliche Abwärtsspirale geführt hätten. „Es war unglaublich, wie viele Menschen an unserem Schicksal teilgenommen haben. Wir haben viele Briefe und sogar ganze Pakete von uns völlig fremden Personen bekommen. Wir haben uns von diesen Menschen getragen gefühlt“, sagt Sandra Schlitter.

Die Frage nach dem Warum
bleibt bis heute offen

Die Schlitters gehen auf die anderen Kinder ein, darauf, wie diese mit dem Verschwinden des Bruders umgehen. Ebenso beschäftigen sich Sandra und Reinhard Schlitter mit der Frage, was das für ein Mensch ist, der ihnen das Kind genommen hat. Während das, was passiert ist, genau rekonstruiert werden kann, bleibt die Frage, warum der Täter das getan hat, bis heute offen.

Es habe den Weg der gegenseitigen Vergebung gewählt, sogar den Täter eingeschlossen, betont das Ehepaar. Eine Aussage, die auf den Gesichtern mancher Zuhörer erkennbare Ungläubigkeit widerspiegelt. „Wir hassen den Täter nicht. Hass bremst nur die eigene Entwicklung. Wer an Gott glaubt, der möchte nicht an Hass und Bitterkeit festhalten“, sagt Sandra Schlitter, die damit im Laufe des Abends immer wieder zeigt, wie der Glaube an Gott ihnen weitergeholfen hat.

Gott habe den Menschen einen freien Willen gegeben, sodass Menschen auch unvorstellbar Schlimmes tun würden. Aber sie sei sich sicher, Gott sei bei Mirco gewesen, als er litt, und er habe bitterlich geweint. Sie und ihr Mann hätten beschlossen, anzunehmen und loslassen zu können, fügt sie an. Worte, die die Zuhörer nachdenklich stimmen. Die Schlitters sagen: „Eine Gebrauchsanleitung, wie man weiterleben kann, gibt es nicht. Das Vertrauen auf Gott hat uns Halt gegeben.“