Per Anhalter und ohne Smartphone unterwegs Was ein junger Raumausstatter auf der Walz erlebte
Grefrath · Vor vier Jahren schnürte Raumausstatter Vincent Stenmans seinen Beutel und zog los. Jetzt ist der 29-Jährige wieder zu Hause.
Er ist wieder zu Hause: Nach genau vier Jahren und einer Woche auf der Walz ist Raumausstatter Vincent Stenmans (29) in Grefrath-Oedt eingetroffen. So lange durfte er sich seiner Heimat bis auf einen Umkreis von 50 Kilometern nicht nähern. Erwartet wurde er von Familie, Freunden und anderen Wandergesellen. Am Ortseingangsschild musste er zunächst zwei versiegelte Flaschen ausbuddeln, die dort bei seinem Auszug im November 2019 vergraben worden waren: eine angetrunkene Flasche Hochprozentiges und eine mit allerhand bestärkenden Wunschzettelchen.
Die haben anscheinend gewirkt. Alles ist gut gegangen. Vincent Stenmans strahlt Energie und Lebensfreude aus, ist voller neuer Erfahrungen und Ideen. Für das Zeitungsfoto zieht er seine Kluft noch einmal an. Sie symbolisiert nach außen die strengen Regeln, denen er sich für so lange Zeit freiwillig unterworfen hat. Und damit auch die große, noch aus dem Mittelalter stammende Tradition, in die er sich gestellt hat.
Die maßgeschneiderte Kluft aus rotem Samt und schwarzem festen Stoff ist schon die zweite ihrer Art. „Die erste war einfach durch“, erklärt Stenmans. Geblieben ist ihm der schwere Wanderstock, den er gleich zu Beginn fand und der ihm ein treuer Begleiter war. Und auch der Ohrring, der ihm als Zeichen der Walz mit einem Nagel in das linke Ohrläppchen getrieben wurde. „Ich war festgenagelt auf mindestens drei Jahre und einen Tag Wanderschaft“, erklärt Vincent.
Gereist ist er mit leichtem Gepäck, drei Beuteln aus zusammengeknotetem Stoff, die nur das Allernötigste wie Arbeitskleidung und Wechselwäsche enthielten. „Am Mann“, sprich in den Taschen von Jacke, Weste und Hose verstaute er persönliche Gegenstände: Zahnbürste, Papiere, Geld und sein Wanderbuch, in dem er die verschiedenen Stationen seiner Reise dokumentieren ließ. So leicht so äußeres Gepäck auch gewesen sein mag: Das, was er an Erinnerungen und Erfahrungen mitgebracht hat, wiegt um so schwerer.
16 Länder hat Stenmans in vier Jahren bereist „Von Dänemark bis Südspanien, von Portugal bis ans Schwarze Meer“, sagt er. Das ist umso erstaunlicher, als er keinen Cent für die Fortbewegung ausgeben durfte. Unterwegs war er zu Fuß oder per Anhalter. Oft gemeinsam mit anderen Handwerksgesellen, die ebenfalls auf der Walz waren. Die Ziele ergaben sich zufällig, manchmal gab es Tipps und Empfehlungen, manchmal lockte eine schöne Landschaft.
Das Netzwerk entwickelte sich beim Reisen immer weiter. Ein Netzwerk ohne die heute unentbehrlich erscheinenden Instrumente wie Smartphone oder Tablet. Nur in dringenden Fällen konnte Vincent fremde Telefone benutzen. Auch für die Übernachtung durfte er nichts bezahlen. Was bedeutet, dass er manches Mal unter freiem Himmel schlafen musste. „Im Sommer im Weinberg in der Pfalz oder in den Dünen an der Ostsee kann das schön sein, im Winter weniger“, sagt er.
Aber oft genug wurden ihm heimische Sofas, Schlafstätten in Kneipen, Vereins- oder Pfarrheimen angeboten. Und manchmal sogar Hotelzimmer. „Da war die Kluft schon ein Türöffner, schuf Vertrauen“, glaubt er.
Beruflich hat sich sein Erfahrungshorizont enorm erweitert und seine Wahl gefestigt. Zwischen zwei Wochen und drei Monaten ist er an seinen Arbeitsstätten geblieben. Die waren ganz unterschiedlich, vom Einzelbetrieb auf dem Dorf bis zur industriellen Anlage. Auf einem historischen Segelschiff fertigte er Matratzen und fuhr dafür durch die dänische Südsee. In den Polsterwerkstätten von Schloss Schönbrunn bei Wien restaurierte er historische Sitzmöbel. Und half bei der Gelegenheit, den roten Teppich auszurollen, als der spanische König dort auf Staatsbesuch weilte. In Frankreich arbeitete er für einen Raumausstatter der Luxusklasse.
Die Verständigung lief auf Englisch und mit „Händen und Füßen“. Und mit ein paar Brocken Landessprache, die er sich angeeignet hatte. All dies war so bereichernd für ihn, dass er die Mindestzeit für die Walz noch einmal um ein Jahr verlängerte. Die Pandemie kam ihm zum Glück kaum in die Quere, da sein Gewerk weiter offen war und sogar noch stärker nachgefragt war als je zuvor. „Ich habe auch während der Lockdowns immer Arbeit gefunden“, berichtet er. Eine große persönliche Stütze waren ihm andere Gesellen und Gesellinnen, vor allem die aus seinem „Schacht“, das heißt seiner Zunftvereinigung. Dort haben sich Freundschaften gebildet, die wohl fürs Leben bleiben werden. Auch zu vielen seiner Arbeitgeber hält er den Kontakt.
Nach dem Fototermin zieht Vincent seine Kluft schnell wieder aus. Er genießt es, nun mal wieder in „normaler“ Kleidung unterwegs zu sein und endlich mehr Privatheit zu haben. Gerade richtet er sich eine kleine Wohnung ein. Beruflich wird er nun wieder voll in den elterlichen Raumausstatterbetrieb in Grefrath-Oedt einsteigen. Weiterbilden will er sich im Bereich Möbelrestauration. „Ich glaube, ich bin bescheidener geworden, auch was mein Konsumverhalten betrifft“, zieht er ein erstes Fazit. Und, was ihm sehr wichtig ist: „Die Welt ist nicht so schlecht, wie viele glauben. Sie steht einem offen, wenn man den Menschen mit Offenheit begegnet.“