Neuer Ratgeber für die Sandwich-Generation Wenn die Eltern alt werden
Kempen · Wie es gelingen kann, die Eltern zu unterstützen, dabei Job, Haushalt und Erziehung zu stemmen und sich selbst nicht zu verlieren.
Anfangs sind es die kleinen Dinge, an denen erwachsene Kinder merken, dass die Eltern Hilfe benötigen. „Manchmal reicht ein Blick in den Kühlschrank, um festzustellen, dass sie den Überblick verloren haben“, sagt Dorothee Döring. „Die Lebensmittel sind nicht mehr gut, doch weil im Alter auch der Geruchs- und Geschmackssinn nachlassen, essen sie sie trotzdem.“ Vielleicht sei das Bad nicht mehr so sauber wie früher, vielleicht sei die Kleidung fleckig, „an diesen Dingen merkt man oft: ,Hier muss ich ein bisschen was tun‘“, sagt Döring, „das kommt schleichend.“
Die Expertin aus Kempen-Tönisberg ist als Dozentin, Referentin und Coach in der Erwachsenenbildung viel unterwegs. Die Kommunikations- und Konfliktberaterin gibt Seminare und Workshops an Volkshochschulen und kirchlichen Bildungswerken – und hört dabei oft, welche Probleme Menschen in den unterschiedlichsten familiären Konstellationen umtreiben. Viele Ratgeber zu Themen wie Partnerschaft, Familie, Älterwerden und Trauer hat sie schon veröffentlicht, nun liegt ihr neuestes Buch vor. Darin greift sie ein Thema auf, das sie vor 20 Jahren schon beschäftigte: das Älterwerden der eigenen Eltern.
„Schwierige Rollenumkehr – Die Sandwich-Generation in der Pflicht“ lautet der Titel. Im Mittelpunkt steht die Generation der etwa 40- bis 60-Jährigen, die noch voll im Berufsleben stehen, die Kindererziehung und den Haushalt stemmen müssen – und nun mit dem Älterwerden der Eltern konfrontiert werden, was neue Herausforderungen mit sich bringt und auch Konflikte bergen kann. Von diesen Konflikten hörte Döring in Seminaren und bei Diskussionen nach Vorträgen immer wieder, sodass sie beschloss, sich dem Thema erneut zu widmen, aber mit vielen neuen Facetten.
Mit ihrem Ratgeber will sie erwachsene Kinder dabei unterstützen, die Balance zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu finden, den eigenen Eltern möglichst gut zu helfen, sich dabei aber selbst nicht aus dem Blick zu verlieren. Ein Tipp für die „Elternkümmerer“: sich ehrlich zu fragen, in welchem Umfang man unterstützen kann und warum man das tue, rät Döring: „Wenn es um die verspätete Anerkennung geht, die man sich als brave Tochter von den Eltern erhofft, wird es schwierig. Wenn man unterstützt, darf man nichts erwarten.“
Und man sollte sich auch fragen, welche Aufgaben man delegieren kann. So kann beispielsweise der Partner mithelfen, können sich Geschwister absprechen. Auch kann man sich kostenfrei bei der Pflegeberatung der Stadt oder Gemeinde über Unterstützungsmöglichkeiten informieren. Hilfe für die Pflege, für Haus und Garten gibt es, vielerorts werden Einkaufsbegleitung oder Besuchsdienst angeboten, damit Senioren sich nicht einsam fühlen, möglichst selbstständig bleiben und Angehörige entlastet werden.
Worauf sich die erwachsenen Kinder einstellen müssen: dass die Eltern zunächst überhaupt nicht um Hilfe bitten. „Sie wollen auf keinen Fall die erwachsenen Kinder fragen, sie wissen ja, wie belastet diese durch Beruf und die Erziehung der eigenen Kinder ohnehin schon sind. Da wollen sie die Kinder nicht noch zusätzlich belasten“, sagt Döring.
Womit Kinder auch rechnen müssen, wenn sie helfen wollen: dass die Eltern auf stur schalten, bockig werden oder sich in Selbstmitleid ergehen, wenn sie spüren, dass sie nicht mehr so unabhängig sind wie früher. „Für sie ist es sehr schmerzhaft, festzustellen, dass sie mit manchen Dingen überfordert sind“, erklärt Döring, „das ist ein Autonomie-Verlust.“ Vor den eigenen Kindern habe man sich immer als stark präsentiert. Müsse man nun eingestehen, manche Dinge selbst nicht mehr zu schaffen, schwinde das Selbstbewusstsein.
Die Eltern direkt auf das Problem anzusprechen („Die Sachen im Kühlschrank sind ja alle vergammelt, Mama!“), könne zu Konflikten führen, warnt die Expertin: „Menschen werden aggressiv, wenn man sie mit ihrem eigenen Unvermögen konfrontiert, sie auf verloren gegangene Kompetenzen hinweist.“ Sie rät erwachsenen Kindern deshalb dazu, unauffällig die Dinge in Ordnung zu bringen, der Mutter etwa zu sagen: „Kümmere du dich ruhig um die Blumen, und ich mach hier schnell den Kühlschrank sauber.“
Bei aller Hilfe ist Döring eins wichtig: dass die erwachsenen Kinder Wege für sich finden, mit Empathie und ohne schlechtes Gewissen die Eltern beim Älterwerden zu unterstützen. Dabei geht es auch um die Selbstpflege: Auszeiten für sich zu finden, durchzuatmen, „sich selbst etwas Gutes zu tun, um dann wieder gut für andere sorgen zu können“, macht Döring deutlich. „Ich muss mich immer wieder selbst reflektieren und überlegen, wo ich an meine Grenzen gekommen bin und was ich tun muss, um gut damit zurechtzukommen.“ Dazu gehöre auch die Pflege der eigenen Partnerschaft. Denn im Hamsterrad zwischen Beruf und Haushalt, Kindererziehung und Eltern-Sorge könne es sonst leicht zu Konflikten mit dem Partner kommen, der sich zurückgesetzt fühlt.
Mit ihrem Ratgeber will die Tönisbergerin helfen, in diesem Spannungsfeld gesund zu bleiben. Was hilft: „Sich bewusst zu machen, dass ich mein Bestes tue“, rät Döring: „Es muss nicht das Beste sein. Aber ich gebe mein Bestes. Das entlastet.“