Corona-Folgen Viele Therapeuten fürchten um ihre Existenz

Kempen/Grefrath · Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden oder Podologen dürfen zwar zurzeit weiter behandeln. Doch viele Termine werden abgesagt. Das bringt sie an den Rand des Ruins.

Die Zahl der physiotherapeutischen Anwendungen geht in der Corona-Krise drastisch zurück.

Foto: dpa-tmn/Dieter Kroll

Über die Sorgen von Einzelhändlern und Gastronomen wird zurzeit viel gesprochen. Doch es gibt noch weitere Berufszweige, die sich in der aktuellen Situation Sorgen um ihre Existenz machen müssen – auch wenn sie ihrer Arbeit offiziell noch nachgehen dürften, können sie es oft nicht.

Unter den sogenannten Heilmittelerbringern wie Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden oder Podologen wächst die Verzweiflung, berichtet der Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV). Die selbstständigen Praxisinhaber und deren Angestellte bringe das immer näher an den Rand des wirtschaftlichen Ruins, so der SHV.

Teletherapie ist erlaubt,
aber nicht immer möglich

Physiotherapeutin Renate Erdmann und Logopädin Sonja Minten aus Kempen sowie Ergotherapeutin Nadine Wöhler aus Grefrath wollen auf die aktuelle Krisensituation aufmerksam machen. Auch bei ihnen müssen viele Termine zurzeit ausfallen.

Ärzte würden zudem keine Behandlungen verschreiben, stellt Nadine Wöhler fest. Dabei gebe es weiter Patienten, die die Therapie dringend bräuchten. Gerade in Zeiten, in denen viele Reha-Kliniken keine Patienten mehr aufnehmen könnten, sei die ambulante Behandlung so wichtig.

Gleichzeitig müssen die Praxen hohe Hygieneauflagen erfüllen.  „Das ist mit hohen Aufwand und Investitionen verbunden“, sagt Nadine Wöhler. Natürlich wolle man alles tun, um die Patienten und Mitarbeiter zu schützen. Jeder Patient muss sich die Hände waschen. Ein Wartezimmer gibt es zurzeit nicht. Ein Schreiner hat „Spuckwände“ als Schutz während der Therapie gebaut. Aber Desinfektionsmittel sind teuer und schwer zu bekommen. Die Therapeuten würden da ziemlich allein gelassen. Und die Kosten, die jetzt auflaufen, können später nicht einfach aufgeschlagen werden.

Logopädin Sonja Minten hat selbst zurzeit keine Termine mehr. „Ich behandle neurologische Patienten, die zum Beispiel einen Schlaganfall hatten oder Krankheiten wie ALS haben“, erklärt sie. Da diese Patienten eine besondere Risikogruppe seien, habe sie die Termine vorsichtshalber abgesagt. Für die Patienten ist dies schlimm. So gibt es zum Beispiel Therapien zur Entwöhnung von der Ernährung per Magensonde, die gute Fortschritte machten und nun unterbrochen werden müssen. Viele solcher Behandlung ließen sich nicht per Teletherapie, die zurzeit erlaubt wäre, durchführen.

Einige ihrer Mitarbeiter würden noch mit Kindern arbeiten können. Und Sonja Minten freut sich, dass die Kempener Ärzte durchaus noch Folgeverordnungen ausstellen würden. Aber in der Summe fallen zu viele Termine aus. Kontakte zu vermeiden, sei auch richtig, so Minten. „Daher versuchen wir auch gar nicht jemanden zu überreden, einen Termin wahrzunehmen“, sagt die Logopädin. Aber mit Blick auf den finanziellen Schaden brauchen die Therapeuten nun Hilfe. Für ihre sechs Mitarbeiter habe sie bereits Kurzarbeit angemeldet.

Auch das Ambulante Gesundheitszentrum Stefelmanns (ags) in Kempen schlägt Alarm. Dort werden ebenfalls viele Termine abgesagt. „Sollten die Praxen aus finanziellen Gründen schließen müssen, wird dies auch in Kempen nicht nur jetzt in der Krise, sondern auf Dauer massive Versorgungsprobleme bringen“, sagt Ruud Stefelmanns. Das schade am Ende allen Patienten, weil es Heilungsprozesse verzögert oder unmöglich macht.

Auch Nadine Wöhler sieht ein Problem für die Zukunft. Die Situation sei existenzbedrohend. „Ich weiß nicht, ob ich alle Mitarbeiter halten kann“, sagt die einzige Ergotherapeutin in Grefrath. Der ohnehin schon bestehende Therapeutenmangel könnte sich massiv verschärfen. Dass es Hilfe für Krankenhäuser gebe, aber nicht für die Heilmittelerbringer, sei wie eine Ohrfeige für die Therapeuten.

Hilfen von Politik und Krankenkassen werden gefordert

Die Politik nehme die Insolvenz von vielen 1000 Heilmittelerbringern in Kauf und gefährde hunderttausende Arbeitsplätze sowie die Gesundheit der Bevölkerung, so die Kritik des SHV. Der Verband fordert, „die seit Jahren geringen Vergütungssätze für die Therapiepraxen anzupassen“. Zudem müsse ein Rettungsschirm für Therapeuten gelten, so die SHV-Vorsitzende Ute Repschläger. Der Verband fordert finanzielle Soforthilfen von der gesetzlichen Krankenversicherung in Form von Ausgleichszahlungen. „Wenn wir keine Leistung erbringen können, entstehen den Krankenkassen keine Kosten. Ganz im Gegenteil: Sie profitieren finanziell von dieser Situation“, seien sich alle SHV-Mitgliedsverbände einig: „Denn die Kosten für Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Podologie sind im Haushaltsplan der Krankenkassen bereits eingeplant. Es bringt sie also nicht in finanzielle Schwierigkeiten, den Heilmittelerbringern eine Soforthilfe auszuzahlen, um deren Umsatzeinbußen auszugleichen. Für die Krankenkassen ist das ein Nullsummenspiel. Den Heilmittelerbringern rettet das aber die Existenz – und darauf kommt es im Moment mehr denn je an. Andernfalls ist die Versorgung gefährdet.“