Soziales In Zukunft sollen gute Geister in Kempen wirken

Kempen · Der Kempener Psychotherapeut Thomas Elsen hat eine Start-Up-Plattform für alltägliche Hilfsangebote begründet und bildet Menschen in „Begegnungspflege“ fort.

Wolfgang Kieserling,  Franziska Drews, Sebastian Spinczyk sind drei Aktive der im Aufbau befindlichen Online-Plattform GiiGiS an der Franziskanerstraße.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Ein großer Empfangsraum, ein paar Büros und ein Lehrraum finden sich in den Räumlichkeiten an der Franziskanerstraße 2. „Wir haben renoviert hier ab November, haben aber noch keine Einweihung gefeiert“, sagt Thomas Elsen, 65-Jähriger psychologischer Psychotherapeut aus Kempen. „Wir hatten aufgrund der vielen Menschen, die zu uns strömten, einfach angefangen. Wir brauchten Platz“, sagt er zu den Anfängen vor Ort. „Von hier aus wollen wir die „Keimzelle“ starten.“

Das Start-Up-Projekt, dass Elsen vor Ort auf den Weg bringen will, heißt GiiGiS - was auf Englisch auch „Gute Geister“ bedeutet. „Die drei „I´s“ stehen für Inklusion, Integration und Information“, erklärt er. „Bei Gesundheit gibt´s nichts Wichtigeres als Information“, ist Elsens Credo. Der Kern des Projekts „GiiGiS“ ist, die Gesundheit über die Begegnung zwischen den Menschen zu fördern - oder wie er es in einem Video beschreibt „die Bedarfe und Lösungen für die Bedarfe“ zusammenzubringen.

Begegnung begreift Elsen als Medizin

Begegnung sei für Menschen extrem wichtig, Einsamkeit ein großer gesellschaftlicher Faktor, ist seine Erfahrung aus 30 Jahren Berufstätigkeit. „In England gibt es ein Ministerium gegen Einsamkeit“, macht er deutlich. Über deren Aktivität gebe es „20 Prozent weniger Arztbesuche und weniger Einsamkeit.“

Über die Begegnung mit Menschen passiere einfach mit den Beteiligten sehr viel - wie die Ausschüttung des Sozialhormons Oxytocin, was Bindungen und das Zutrauen in andere Menschen stärkt. Ein Beispiel nennt er aus dem persönlichen Erleben, als er seine Eltern bis in den Tod begleitete. „Wenn Leute anwesend waren, gab es bei ihnen eine bessere Wundversorgung. Und es gab eine bessere Heilung, weil Sie mehr Zeit in die Person investieren, die Hand halten, dableiben.“

Elsen nennt sein Konzept „Begegnungspflege“, die als „integrierte Versorgung“ über die reine Pflege hinausgeht. „Da geht es um die Seele“, sagt er. Der bewusste Kontakt, der viel bewirkt, das „Nudging“ — also das Erzielen einer Verhaltensänderung durch Anregung — die ausgelösten Prozesse durch das Oxytocin, all das ist ihm auf diesem Weg der Gesundheit wichtig. Und da kommt dann die Online-Plattform ins Spiel, über die man in Echtzeit einen Bedarf einstellen und erfüllt bekommen kann. „Die GiiGiS-Helfer können sich auf der Plattform anmelden, wo in einem Kategoriesystem steht, was sie können“ - zum Beispiel Besorgungen machen, mit zum Hausarzt gehen, hauswirtschaftliche Unterstützung leisten oder einfach nur mal spazieren gehen.

Auf einer Karte findet der Kunde dann den entsprechenden Helfer. Und die können über eine App selbst nachsehen, ob jemand Blumen besorgt oder den Garten bewirtschaftet haben möchte. Auch solo-selbstständige Pflegekräfte oder frühere Alltagsbegleiter will Elsen über die Plattform vermitteln, sich mit Hausärzten vernetzen.

Die Talente auch von Langzeitarbeitslosen nutzen 

Um die „Begegnungspflege“ möglich zu machen, hat Elsen den Draht zum Jobcenter geknüpft, um über diesen Weg Langzeitarbeitslose als „GiiGiS“ fortzubilden und ihnen so einen Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. „ Ich habe genug „Abgehängte“ erlebt, wo soviele „Juwelen“ dabei waren“, sagt der Psychotherapeut. Jeder Mensch habe Fähigkeiten, die zum Wohl anderer eingesetzt werden können oder die er neu an sich völlig neu entdecken kann. „Talente entwickeln“, das ist seine Idee. 

Sebastian Spinczyk ist seit Februar diesen Jahres bei „GiiGiS“ dabei. „Ich habe nix Vernünftiges gelernt“, gesteht der 41-jährige gebürtige Krefelder offen ein. Längere Zeit war er arbeitslos, nachdem er zwei Studiengänge in Physik und Geschichte abgebrochen hat, danach einige Hilfstätigkeiten angenommen hat. „Das ist hier seit einiger Zeit die erste kontinuierliche Sache“, sagt er.

Die ARGE habe ihn auf das Angebot aufmerksam gemacht. „Ich habe Background in Alltagsunterstützung von Älteren, habe lange einer Frau mit Multipler Sklerose geholfen im Haushalt, ihr vorgelesen“, benennt er seine Talente. „Das hier passt so in die Richtung, sich sozial einzubringen.“  Zurzeit sei er in der IT und helfe als „Mädchen für alles“ gerne: „Eine Frau war letzte Woche hier, die hatte Probleme mit dem Handy.“

Auch der Grefrather Wolfgang Kieserling war über das Jobcenter auf das Angebot aufmerksam geworden. „Ich bin viel in Spanien und Deutschland umhergezogen, habe hier viele Restaurants umgebaut, den Brandschutz übernommen“, sagt der 55-jährige anerkannte Trockenbauingenieur, der zuletzt bei Polytex in Grefrath über eine Zeitarbeitsfirma tätig war und einen Mini-Hausmeisterjob in Kempen ausübt. „Der Umgang mit Menschen ist mir also nicht fremd“, benennt er eine wichtige Facette seiner Fähigkeiten. „Und meine Mutter hat Demenz, da habe ich also auch konkretes Hintergrundwissen.“

Mit der Idee des „GiiGiS“-Projekts könne er sich vollkommen identifizieren. „Dieser Umgang mit Menschen, der Versuch, das, was im Pflegedienst liegen bleiben muss, abzudecken und Begegnungen zu schaffen, sich mit seinen Fähigkeiten zu entfalten“, das habe ihn überzeugt.

Den ersten Außentermin, den habe er auch schon gehabt. „Es geht so langsam damit los.“ Zwei älteren Frauen habe er geholfen, zu skypen und mit dem Computer umzugehen. „Die Ältere der beiden schreibt jetzt damit ein Buch“, muss er schmunzeln.

Was Kieserling besonders gefällt, ist die Chance, über das Wachsen des Projekts Unternehmensstrukturen „von der Pike auf kennenzulernen“ und mitzugestalten, zumal er später selbst mal Neuankömmlinge an die Arbeit heranführen soll. Und beide schätzen den Umgang auf gleicher Augenhöhe. „Die Wertschätzung, die man hier erfährt“, die sei für ihn etwas völlig Neues, sagt Kieserling. Dabei verweist er auf die Tafel an der Wand, auf der der Satz steht: „Arbeit neu denken: Mitunternehmer statt Mitarbeiter.“