Weihnachten in Grefrath: Wie feiert man nach dem Tod eines Angehörigen? Wenn Heiligabend zum traurigsten Tag wird
Grefrath · Gemeinsam mit der Familie oder Freunden ist Weihnachten für viele die schönste Zeit im Jahr. Für jemanden, der jedoch vor kurzem einen geliebten Menschen verloren hat, kann das Fest zur Tortur werden. Eine Trauerbegleiterin berichtet.
Es waren seit so vielen Jahren immer die gleichen schönen Rituale. Am Morgen des 24. Dezember gemeinsam den Baum schmücken, am Weihnachtsabend dann einen Gänsebraten genießen, ein stimmungsvolles Lied singen und anschließend die Geschenke auspacken. Eltern, Kinder – alle beisammen. So soll Weihnachten sein. Was aber, wenn plötzlich alles anders ist? Wenn etwa ein Unfall oder eine Krankheit den Vater aus dem Leben gerissen hat, die Mutter plötzlich mit den Kindern allein da steht? In einer solchen Situation ist Weihnachten für viele eine besonders schwere Zeit, weiß Trauerbegleiterin Nicole Füngerlings. Gerade dann, wenn es das erste Fest ohne den geliebten Menschen ist.
„Für viele Trauernde ist ein Weihnachten ohne den Verstorbenen schlicht nicht denkbar“, beobachtet die 43-Jährige, die in Grefrath für den Malteser-Hospizdienst „Klaus Hemmerle“ tätig ist. „Sie wollen dann einfach nicht feiern, keinen Baum aufstellen, keine Kerze anzünden.“ Es müsse natürlich jeder für sich selbst entscheiden, wie er mit einem Verlust umgeht, betont Nicole Füngerlings. Ein Patentrezept für den richtigen Umgang mit einem schweren Verlust gibt es eben nicht. Die 43-Jährige rät Trauernden aber zu einem „Jetzt erst recht“-Denken. Und sie erklärt auch, wieso.
„Es ist unheimlich wichtig, nach einem Todesfall nicht in eine Starre zu verfallen“, sagt die Heilpädagogin. „Hinterbliebene müssen weiterleben, auch wenn sie sich in ihrer Trauer erst einmal nicht vorstellen können, wie.“ Zu Weihnachten ist das natürlich besonders schwer, ist der gelernten Heilpädagogin bewusst. Wenn gefühlt alle um einen herum die besinnliche und fröhliche Zeit mit ihren Lieben genießen. Und wenn zwangsläufig so viele Erinnerungen an gemeinsame Feste hochkommen. „Ein Spaziergang ist das nicht“, macht Nicole Füngerlings deutlich. „Aber“, und davon ist die Trauerbegleiterin überzeugt, „man sollte sich diesem Schmerz stellen.“ Denn auf diese Weise könne man besser lernen, damit umzugehen. „Wenn man seine Trauer nicht verarbeitet, holt sie einen wahrscheinlich irgendwann ein.“ In Form eines emotionalen Tiefs oder auch als körperliche Symptome. „Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Durchfall – all das können Anzeichen einer psychischen Belastung oder verdrängter Trauer sein“, sagt Nicole Füngerlings.
Rituale beibehalten
oder völlig neue Wege gehen
Wie aber soll das funktionieren, Weihnachten feiern ohne den geliebten Menschen? „Ich frage Trauernde als erstes danach, wie die Feiertage bei ihnen in den vergangenen Jahren immer ausgesehen haben“, erklärt die Expertin. Auf diese Weise möchte sie Rituale erfragen. „Die nämlich sollte man zu einem solchen Anlass einmal für sich selbst sortieren. Sich darüber bewusst werden, was man auch ohne den Verstorbenen beibehalten und was man künftig vielleicht ganz anders gestalten möchte.“ Die Frage nach einem Baum gehört für die Trauerbegleiterin ebenso dazu wie etwa die nach dem Essen. „Manche Dinge liegen einem so am Herzen, dass man diese nicht auch noch verlieren möchte. Bei anderen hilft nur eine verrückte Antwort auf diese völlig verrückte Situation.“
Ein Beispiel: Im Oktober haben ein Vater und seine acht und zwölf Jahre alten Kinder ihre Mutter verloren, Nicole Füngerlings begleitet die Familie durch die Weihnachtszeit. Einen Baum aufstellen wollten die Hinterbliebenen zunächst nicht. Das wäre zu schmerzhaft, waren der Ehemann und seine Kinder überzeugt. „Schmerzhaft wird dieses Weihnachten aber so oder so“, hat die Trauerbegleiterin der Familie daraufhin gesagt und einen Vorschlag gemacht: „Wie wäre es, wenn ihr nicht nur einen, sondern sogar zwei Bäume aufstellt?“ Einen besonders großen und schönen für das eigene Haus und einen zweiten für den Friedhof, so dass die Mama auch ein wenig Weihnachtsstimmung hat. Die Familie war einverstanden. Und sie habe eine Art „freudige Entschlossenheit“ in den Augen der Kinder gesehen, als die Familie gemeinsam mit ihr abends im Dunkeln auf den Friedhof gegangen sei und den Baum aufgestellt und geschmückt habe, berichtet Nicole Füngerlings. „Der Baum ist richtig schön geworden, jetzt freuen sich alle darüber, dass er da ist.“
Eine zweite „verrückte Antwort auf diese verrückte Situation“ hat sich die Familie für den Heiligen Abend überlegt. Es soll das Weihnachtsessen geben, das es seit Jahren immer gegeben und das allen geschmeckt hat. Dieses Mal aber essen erst der Vater und die Kinder zu Hause und bringen dann der Mutter etwas vom Mal zum Friedhof. „In Mexiko und in anderen Ländern ist es völlig normal, die Toten zu speisen“, weiß Nicole Füngerlings. „Wieso nicht auch hier? Einfach als Geste, die zeigen soll, dass man an den Verstorbenen denkt.“ Eine kleine Portion halt, über die sich dann auch die Friedhofsmäuse freuen.
Für die einen mögen Aktionen wie diese völlig unpassend klingen, für diese Familie könnten sie die richtigen sein, um das erste Weihnachtsfest ohne die Mutter erträglich zu machen. „Nochmal“, wiederholt Nicole Füngerlings. „Es gibt kein Patentrezept. Wichtig ist, dass man etwas tut und sich nicht untätig von der Trauer auffressen lässt.“ Selbst, wenn keine Kinder oder anderen Verwandten da seien, „es muss ja niemand allein dadurch.“ Mittlerweile gebe es immer mehr Angebote für Alleinstehende an Heiligabend. „Vielleicht kann das etwas sein, um den Tag nicht grübelnd allein zu Hause durchstehen zu müssen.“ Und wenn am Heiligen Abend nun doch jemand allein zu Hause hockt, trauert und niemanden zum Reden hat? „Dann wäre es toll, wenn es vielleicht einen netten Nachbarn gibt, der mal nach dem Rechten schaut.“