Kempen/Werdau Ein Anruf in der Partnerstadt
Kempen/Werdau. · Was passiert derzeit in Sachsen? Die WZ hat in Werdau, befreundet mit Kempen, nachgefragt.
Sachsen, dieses Bundesland im Osten, scheint vielen Menschen hier im Westen aktuell ferner denn je. Nach den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz diskutieren Politik und Gesellschaft: Sind die Rechten in Sachsen außer Kontrolle? Sind sie überhaupt noch eine Minderheit? Und ist das nur ein Problem einer Region – oder vielleicht doch des ganzen Landes? Eines ist zumindest schon klar: Der Ruf Sachsens ist beschädigt. Für die Mehrheit – die Toleranten, die Demokraten – muss das furchtbar sein.
Stadtmarketing spricht von europäischem Problem
So klingt es zumindest beim Anruf in Kempens sächsischer Partnerstadt Werdau. „Ich war erschüttert, als ich mitbekommen habe, was in Chemnitz passiert“, sagt André Kleber, der sich dort um das Stadtmarketing kümmert. Gleich schiebt er hinterher: „Wir sind hier doch sehr, sehr offen.“ Fast so als müsse er sich rechtfertigen.
Kleber hält den Aufmarsch der Rechten in Chemnitz zumindest nicht für repräsentativ für sein Bundesland und spricht von einem europäischen Problem. Aber natürlich mache er sich Sorgen um die Reputation Sachsens. Resignieren will Kleber nicht: „Uns spornt das noch mehr an, das Gegenteil zu beweisen.“
In Werdau sind sie sicher: Sie haben einen Weg gefunden, mit Fragen, Ängsten und Sorgen gegenüber Ausländern umzugehen. „Begegnungen schaffen“, meint Kleber. Darin hat die 21000-Einwohner-Stadt im Großraum Zwickau Erfahrung. Schon bevor etliche Flüchtlinge nach Deutschland kamen und in die Gemeinden verteilt wurden, hatte Werdau ein Asylbewerberheim. Migranten integrieren, ihnen Arbeit und eine Wohnung zu vermitteln – in Kempens Partnerort wussten Politik und Verwaltung bereits wie das geht. Ab dem Jahr 2015 kamen unter anderem ein Integrationsbüro und ein Begegnungszentrum dazu.
Auch ehrenamtliches Engagement erhält in Werdau die Offenheit. So fördert der Verein der Vietnamesen – einst von DDR-Gastarbeitern gegründet - mit einem internationalen Kinderfest der Austausch der Kulturen.
Die AfD mischt
den Betrieb auf
Dennoch gibt es ab und an Ärger – Flüchtlinge, die sich nicht an Regeln halten. „Aber schwarze Schafe gibt es überall“, meint Kleber. So gelassen sehen das aber in Werdau nicht alle. Seit der Wiedervereinigung stellen CDU oder Linke den Bürgermeister. Doch die AfD mischt den Betrieb auf. Etwa 21 Prozent der Zweitstimmen holten die Rechtspopulisten bei der letzten Bundestagswahl in Werdau – erschreckend viel, aber immerhin sechs Prozent weniger als im gesamten Bundesland.
Von einem Stimmungswechsel in Richtung rechts möchte Kleber, der mit einer Albanerin verheiratet ist, nichts wissen. Er ärgert sich eher über Innenminister Horst Seehofer. Kleber lässt durchblicken: Mit seinen Aussagen zur Migration als „Mutter aller Probleme“ tut der CSU-Mann den Engagierten vor Ort keinen Gefallen.
Die Stadt Kempen hält zum Partner im Osten. Bürgermeister Volker Rübo (CDU) teilt André Klebers Einschätzung zur Stimmung in Werdau: „Stets habe ich die Menschen in Werdau als weltoffene und tolerante Gastgeber und Freunde erlebt.“ Auch er ist von den „gewalttätigen Ausschreitungen von Rechtsextremisten in Chemnitz“ zutiefst schockiert. Er freue sich daher über die Bilder friedlicher Demonstranten, die für ihre Heimatstadt auf die Straßen gehen und ein anderes Bild vermitteln.
Die Radikalisierung der Gesellschaft dürfe man dennoch nicht kleinreden, so Rübo. Er rät, „Vorurteilen und Hass mit Argumenten zu begegnen“. Ganz so, wie es die Mehrheit in Werdau und Kempen tut.