Adventskalender: Die WZ öffnet Türen So sieht das Kuhtor von innen aus
Viele Menschen betreten die Kempener Altstadt durch das Kuhtor. Seine Räume sind dagegen weniger bekannt.
Kempen. Bis zur Tür sind es drei Stufen. Den Schlüssel hat Matthias Mertens (81) mitgebracht. Doch bevor er die beiden Besucher von der WZ einlässt, gibt es erst einmal ein kleines Rätsel: „Na, wann wurde das Tor zum letzten Mal renoviert?“, möchte der 81-Jährige, der drei Jahrzehnte lang Stadtführungen in Kempen gemacht hat, wissen. Die Lösung steht auf besagter Tür: Die Zahl 1898 ist darauf genagelt worden.
Serie: Die WZ öffnet Türen
Am Kuhtor, beeindruckendes Zeugnis der einstigen Stadtbefestigung, wird heute im Rahmen unserer Adventskalender-Serie das erste Türchen geöffnet. Wobei: Türchen trifft es nicht wirklich. Es ist schon eine imposante Tür mit ihren Zier-Nägeln auf dem Holz und dem mächtigen Klopfer, der die Klingel ersetzt. „Wenn ich früher Stadtführungen mit Kindern gemacht habe, durften die natürlich alle mal klopfen“, berichtet Matthias Mertens.
Dann geht es hinein in den schmalen Treppenhaus-Anbau. Und wieder warten Stufen: 50 sind es laut Mertens, ehe man über die Wendeltreppe den letzten genutzten Raum in dem Kempener Wahrzeichen erreicht hat: Der Verein Niederrhein hat hier in rund zwölf Metern Höhe seine Geschäftsstelle. Mertens ist seit mehr als 50 Jahren Mitglied in dem Wanderverein, davon war er mehr als 40 Jahre im Vorstand tätig.
Die gute Stube des Vereins kann sich sehen lassen: Massive Kneipen-Tische, die man sich nach Schließung einiger Traditionsgaststätten gesichert hatte, sind dort aufgebaut. An ihnen wird regelmäßig Skat gespielt. Und Doppelkopf. „So 20 Personen und mehr sind dann hier“, sagt Matthias Mertens.
So gemütlich ging es in diesen Räumen aber nicht immer zu: Das Kuhtor, 1357 bis 1370 als Teil der Stadtbefestigung erbaut, hatte über Jahrhunderte vor allem einen wehrhaften Charakter. Der Zugang in die oberen Stockwerke führte damals über den Wehrgang. Der heutige Treppenhaus-Anbau entstand erst 1895 bis 1898. In diesen Jahren wurden auch die Türmchen im Neugotischen Stil sowie ein viertes Geschoss aufs Kuhtor gesetzt. „Es sollte ein Denkmal werden“, spöttelt Matthias Mertens über den konservatorischen Geschmack der damaligen Zeit.
Mehrfach hatte es im 19. Jahrhundert Überlegungen gegeben, das als Bollwerk überflüssig gewordene Stadttor abzureißen — so wie es 1841 mit Enger- und Ellentor tatsächlich geschah. Doch das jüngste der Kempener Stadttore hatte Glück: Zwischen 1828 und 1883 wurde es als Stadtgefängnis genutzt. Dann wieder waren in den Räumen Armenwohnungen untergebracht: „Bis zu 30 Personen, Männer, Frauen und Kinder, lebten hier“, berichtet Mertens.
Zwar gab es schon 1883 einen Antrag auf Abbruch durch Kempener Stadtverordnete — doch diesen lehnte der preußische Kulturminister in Berlin ab. Es folgten vielmehr Umbau und Restaurierung. Ab 1898 hatte dann der Geschichts- und Altertumsverein hier seinen Sitz. Ihm folgte 1912 das Stadtarchiv — und ab 1985 der Bund der Vertriebenen mit seiner Ostdeutschen Heimatstube sowie der Verein Niederrhein.
Nur letzterer nutzt seine Räume noch. Die Vertriebenen haben ihre Heimatstube im ersten Stock mittlerweile aufgegeben — und der leere Raum im Obergeschoss, zu dem weitere 19 Stufen führen, dient auch nur als Versammlungsort vieler toter Fliegen. Einzig ein Holzbalken mit verschnörkelter Schrift zieht hier die Blicke auf sich. Darauf ist zu lesen: „Gott fürchten mit Einträchtigkeit ist der Städte Ehrenkleid, kommt dazwischen Hass und Neid, da soll man scheiden.“