„Länge des Ausfalls deutlich dramatischer“ Einige Arzneimittel werden knapp

Kreis Viersen · Viele Medikamente sind derzeit zeitweise nicht erhältlich. Dazu zählen auch gängige Mittel für die Behandlung von Kindern – wie Fiebersaft und Nasenspray. Wie Apotheken im Kreis Viersen mit dem Engpass umgehen.

Regina Bormann bekommt für ihre Apotheke nur wenige Flaschen Fiebersaft pro Woche.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

(biro) Wer dringend auf ein bestimmtes Medikament angewiesen ist, muss derzeit damit rechnen, dass es in der Apotheke vielleicht gar nicht verfügbar ist: Immer häufiger und immer länger sind viele Medikamente nicht erhältlich. Darauf macht der Deutsche Apothekerverband aufmerksam. Über 250 Mittel seien aktuell als nicht lieferfähig gemeldet, berichtete der Vizevorsitzende des Verbands, Hans-Peter Hubmann, kürzlich der Deutschen Presse-Agentur vor dem Welttag der Patientensicherheit am Samstag. Lieferengpässe gebe es immer wieder mal, weil ein Produzent ausfalle, so Hubmann, „aber die Menge und die Länge des Ausfalls ist deutlich dramatischer geworden.“

Diese Erfahrung machen auch Apotheker aus dem Kreis Viersen. „So habe ich das noch nicht erlebt“, sagt etwa Olaf Orthen, der mit der Thomas-Apotheke, der Bären-Apotheke und der Apotheke im Arnoldhaus drei Apotheken in Kempen führt: „Wir erleben es zunehmend, dass Arzneimittel nicht lieferbar sind.“ Das sagt auch Kreisvertrauensapothekerin Regina Bormann von der Markt-Apotheke in Tönisvorst: „Ich bin seit fast 40 Jahren im Beruf, seit 21 Jahren selbstständig. Immer mal gab es Engpässe, aber nicht in solcher Ausprägung.“

Lieferengpässe gibt es dabei nicht nur bei Nischenprodukten, sondern auch bei gängigen Medikamenten. Aktuell besonders schwer zu bekommen sind Fiebermittel für Kinder – was völlig ungewohnt sei, wie Orthen bemerkt: „Fiebersäfte für Kinder gab es immer im Überfluss.“ Das hat sich inzwischen geändert: Fiebersäfte mit Ibuprofen oder Paracetamol sind kaum lieferbar, „wir bekommen bei weitem nicht das, was wir gern hätten“, sagt Orthen. Mit Blick auf die Erkältungszeit legen Apotheken normalerweise einen Wintervorrat an, zu dem beispielsweise die genannten Fiebersäfte, aber auch Kindernasensprays gehören. „Wir hoffen, dass wir wieder etwas bekommen“, so Orthen.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nennt mehrere Gründe, die zu der derzeit eingeschränkten Verfügbarkeit der Fiebersäfte mit Ibuprofen oder Paracetamol führen: Die Recherchen ließen neben dem Rückzug eines Marktteilnehmers auch auf eine Verteilproblematik schließen, ein Lieferabriss sei nicht eingetreten. Die Menge, die über den Markt im Direktvertrieb oder über den Großhandel abgegeben werde, repräsentiere in Summe den bisherigen durchschnittlichen Bedarf. Das Institut macht aber auch deutlich, dass der Bedarf an den betroffenen Arzneimitteln in 2022 überproportional angestiegen sei, „die Ursachen hierfür konnten bislang nicht befriedigend ermittelt werden.“

Durch die Lieferengpässe bekommen Apotheken deshalb nicht immer die Mengen, die sie gern bestellen würden. „Dramatisch aktuell“, so Bormann, sei die Lage beim Ibuflam Kindersaft gegen Fieber und Schmerzen. Der Saft war Bormann zufolge über Monate nicht zu bekommen, „jetzt bekommen wir über den Großhandel wieder den 4-Prozent-Saft für Kinder ab sechs Monate, aber streng kontingentiert“, so Bormann. Fünf Flaschen erhalte sie pro Woche, „damit kommt man nicht weit.“

Die Konsequenz:  „Wir geben Fiebersäfte im Allgemeinen nur auf Verschreibung des Kinderarztes ab“, sagt Orthen. Bormann verfährt ebenso. Sollte ein Medikament nicht verfügbar sein, kann in enger Absprache mit dem Arzt auch ein Ausweichmittel eingesetzt werden. Mancherorts rühren Apotheken Fiebersäfte inzwischen selbst an. Doch das sei sehr aufwendig, macht Orthen deutlich, „das können wir personell nicht leisten, und solche Zusätze wie Erdbeergeschmack bekommen wir gar nicht.“ Ohnehin könne man die Mittel auch nur dann selbst anrühren, wenn man die Wirkstoffe hätte, sagt Bormann, „und die Rohstoffe für Fiebersäfte mit Paracetamol oder Ibuprofen bekommen wir nicht.“

Eine Alternative können Zäpfchen sein, doch die mit Paracetamol seien für die Jüngsten gerade nur schwer erhältlich, berichtet Bormann. Die Kreisvertrauensapothekerin warnt davor, eine Tablette für Erwachsene zu teilen und dem Kind zu geben, „denn wie will man eine Tablette so teilen, dass man die richtige Menge des Wirkstoffs hat?“ Welche Menge ein Kind vertrage, hänge vom Alter ab, „der Körper eines Kindes reagiert ganz anders auf die Wirkstoffe als der eines Erwachsenen.“

Bei Fieber helfen Hausmittel, etwa Wadenwickel, viel Flüssigkeit, „das ist aber alles nur hilfsweise“, sagt Bormann, „und Schmerzen kann man mit Wadenwickeln nicht stillen.“ Eltern sollten deshalb solidarisch denken, so Orthens Appell an alle, die die Hausapotheke für den Winter gern aufstocken würden: „Wenn akut was ist, versuchen wir, das Mittel zu bekommen. Aber es gibt jetzt Kinder, die es wirklich nötig haben.“