Notfallseelsorger bieten Beistand in schwierigen Zeiten Im schweren Einsatz für die Seele

Kempen · Die Notfallseelsorge wird immer dann gerufen, wenn Menschen nach schweren Schicksalsschläge seelischen Beistand brauchen: Tod, Unfall, Suizid.

Michaela Keuler-Pawlik (v.l), Koordinator Andreas Bodenbenner und Lutz Krämer kümmern sich im Kreis Viersen vor allem um Menschen, die schwere Schicksale verarbeiten müssen.

Foto: Norbert Prümen

(ure) Gerade sind neun Neubeauftragte in den Kreis der Notfallseelsorge im Kreis Viersen aufgenommen worden. Sie werden in Zukunft ehrenamtlich Menschen unterstützen, deren Seele in Not geraten ist: Ein Todesfall im Haus, ein Suizid eines nahen Angehörigen, ein schwerer Unfall oder eine andere Krisensituation, die nur schwer zu bewältigen ist. Die Notfallseelsorge wird in der Regel von der Polizei oder der Feuerwehr gerufen. Im Kreis Viersen ist die Notfallseelsorge eine Einrichtung der Katholischen Kirche im Bistum Aachen und des Evangelischen Kirchenkreises Krefeld-Viersen. Im Kreis Viersen sind derzeit 55 Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger aktiv. 40 davon stehen ehrenamtlich zur Verfügung, dazu kommen Pfarrer, Pfarrerinnen und Gemeindereferenten. Im kommenden Jahr wird die Notfallseelsorge im Kreis Viersen auf ein 25-jähriges Wirken zurückblicken können.

Beauftragt wurden auch Michaela Keuler-Pawlik und Lutz Krämer. Beide kommen aus Kempen. „Ich habe einen Zeitungsartikel über Jahre aufgehoben. Dort hieß es, dass die Notfallseelsorge Unterstützung sucht“, sagt Michaela Keuler-Pawlik, „es hat eine Zeit gedauert, bis ich mir gesagt habe: Ich kann das leisten, ich kann andere Menschen unterstützen.“ Es sei ihr nicht aus dem Kopf gegangen – bis zu dem Moment, als sie sich sagte: Jetzt. Lutz Krämer kann auf seine ehrenamtliche Tätigkeit beim Katastrophenschutz der Nettetaler Malteser zurückschauen. „Für mich stand fest, dass die Seelsorge eine sinnvolle Aufgabe für mich sein kann“, sagt er. Auch er bewarb sich.

Bewerben – das heißt: kurzer Lebenslauf, außerdem eine Begründung der Motivation für die Notfallseelsorge und schließlich ein Bewerbungsgespräch in einer Dreier- oder Vierergruppe. „In diesen Gesprächen haben wir oft festgestellt, dass der eine oder die andere zu dem Schluss kommt: Das habe ich mir anders vorgestellt“, erklärt Andreas Bodenbenner, Koordinator der Notfallseelsorge für die katholische Kirche. Die bloße Vorstellung von der Tätigkeit unterscheide sich dann doch vom noch theoretischen Einblick in die Realität. „Wir schildern ein Fallbeispiel und wollen herausfinden, welche Ideen und Möglichkeiten zur Hilfe die Bewerber oder Bewerberinnen sehen und leisten können.“ Schließlich folgt eine neunmonatige Ausbildung: 160 Unterrichtsstunden.

Es ist ein andauernder Umgang mit dem Tod, mit Verzweiflung, mit Trauer, mit Ratlosigkeit. Es ist aber auch eine Zeit für Gespräche, für Trost spenden, für Mut machen, für das Zuhören. „In der Ausbildung habe ich sofort gemerkt, dass wir alle dasselbe wollen: Wir wollen helfen“, schildert Michaela Keuler-Pawlik die Zeit der Ausbildung. Da spiele sicherlich die eigene Lebenserfahrung eine wichtige Rolle. „Vor allem das Zuhören-Können empfinde ich als sehr wichtig“, sagt Lutz Krämer. Unter Umständen gehöre auch Mit-Schweigen zu den Aufgaben der Notfallseelsorge. Michaela Keuler-Pawlik nickt: „Unser Beauftragungsgottesdienst stand unter dem Motto ,Da sein‘. Für mich ist es das zentrale Thema.“

Lernen, sich zurückzunehmen
und die Situation auszuhalten

Man müsse sich auf jeden neuen Einsatz einlassen können, ergänzt Lutz Krämer. Lernen, sich zurückzunehmen, lernen, die jeweilige Situation auszuhalten. „Wir wollen der Ruhepol sein“, sagt er. Aber das Ausloten zwischen Mitgefühl und Distanz-Wahren beschäftigt auch ihn: „Wir müssen Acht geben, dass es uns nicht auffrisst.“ Er hilft sich damit, dass er seine Notfallseelsorgejacke an der Garderobe auf- und wieder abhängen kann. Mit Jacke im Einsatz, ohne Jacke nicht im Einsatz. „Wenn man den Einsatz mit der Jacke ablegt, dann kann man den Einsatz auch hinter sich lassen“, ergänzt Andreas Bodenbenner.

„Wir werden gerufen, wenn Todesnachrichten überbracht werden müssen“, sagt Andreas Bodenbenner, „beispielsweise bei der Ausübung des Berufs, nach einem Unfall oder nach einem Suizid.“ Die Polizei überbringt diese schlimme Nachricht. „Wir bleiben dann länger, um die Betroffenen, wenn gewünscht, zu begleiten.“ Es ist schwierig, dass eine Beispiel herauszufiltern, das die Notwendigkeit der Notfallseelsorge beschreibt. Wenn der geliebte Ehemann tot aufgefunden wird, wenn Jugendliche sich entscheiden, viel zu früh aus dem Leben zu gehen und nur den Tod als möglichen Weg sehen, dann ist eine Instabilität bei den Angehörigen nicht nur sichtbar, sondern geradezu verständlich. „In der Regel ist es der plötzliche, der völlig unerwartete Tod“, erklärt Bodenbenner, „aber für die Angehörigen ist auch der Tod nach einer langen, schweren Krankheit plötzlich.“

Im Jahr 2021 wurde die Notfallseelsorge zu insgesamt 148 Einsätzen gerufen. Auch wenn man nur erahnen kann, was sich hinter diesen Zahlen verbirgt: 75 Einsätze standen in Zusammenhang mit einem häuslichen Tod, von denen in 13 Fällen Suizid der Grund war. Im Vergleich: 2020 zählte man noch zehn Notrufe, insbesondere bei jungen Menschen. Die Ankündigung von Suizid forderte vier Einsätze (2020: null). Sieben Einsätze gab es nach Verkehrsunfällen. Zusätzlich war die Notfallseelsorge elfmal im Katastrophengebiet im Ahrtal im Einsatz.