175-Jahre – Jubilumskonzerte Kirchenchor bereitet sich auf die Champions League vor

Viersen · 15 Monate wurde geprobt, jetzt steht der Auftritt kurz bevor: Der Chor der St. Remigius feiert sein 175-Jähriges mit Konzerten in Düsseldorf und Viersen. Wie er so lange bestehen konnte, was die Sänger bewegt und warum ein Fußball-Vergleich nicht unpassend ist.

Unter der Chorleitung von Kantor Michael Park laufen die letzten Vorbereitungen für die Jubiläumskonzerte.

Foto: Timo Sieg

Ein großes Schiff fährt auf hoher See. In der Steuerkabine korrigiert der Kapitän gerade den Kurs, gibt Koordinaten und Anweisungen an den Rest der Mannschaft. In Sekundenschnelle fliegen Zahlen und Wörter durch den Raum, mit denen ein Laie absolut nichts anfangen kann. Ähnlich klingt es bei Michael Park und dem Kirchenchor an St. Remigius bei der Probe für ihr Jubiläumskonzert am Mittwoch, 25. September.

Michael Park ist seit Juli 2019 hauptamtlicher Kantor, also Chorleiter, studierte vorher in Köln und Essen. Eine „turbulente“ Zeit, wie der 33-Jährige sagt, in der er den Chor erfolgreich durch die Corona-Jahre gesteuert hat. Woran das liegt? Er vermutet, unter anderem an der Auswahl der gesungenen Werke: Sei es die Johannes-Passion von Bach, das Mozart-Requiem oder Messias von Händel – „das sind Titanen, für mich die wichtigsten Werke der geistlichen und auch abendländischen Musik“, sagt Park voller Leidenschaft. Ein anderer Grund dafür, dass der Chor jetzt seit 175 Jahren besteht, sieht er in der Offenheit: 45 Mitglieder sind heute dabei – nicht alle katholisch und nicht alle hohen Alters, wie der Ruf von Kirchenchören zu denken verleiten könnte, aber dazu später mehr.

Seit rund 15 Monaten übt der Chor für das Abendkonzert, das mit dem Oratorium „Paulus“ von Felix Mendelssohn Bartholdy begangen wird. Nur noch rund zwei Wochen sind übrig bis zum Auftritt am Sonntag, 13. Oktober. Es ist eine Kooperation mit dem Stiftungschor der Basilika St. Lambertus in Düsseldorf. Deshalb wird es noch eine zweite Aufführung an Allerheiligen, Freitag, 1. November, geben. Die findet in der Landeshauptstadt statt – ein „Auswärtsspiel“ für den Viersener Chor, was nicht der letzte Sportvergleich bleiben wird.

Das jüngste Mitglied ist 16 Jahre alt, der Großteil aber im fortgeschrittenen Alter. Dadurch wissen einige von der Geschichte des Chores zu berichten. Einer davon ist Bernd Korischem (74), der seit 63 Jahren dabei und inzwischen im Vorstand ist. Er erinnert sich an die Nachkriegszeit zurück: „Damals war die Wahl Messdiener oder Knabenchor.“ Er entschied sich für Letzteres und blieb dabei. Korischem schätzt, dass an St. Remigius immer noch der traditionelle, gregorianische Gesang praktiziert wird, findet aber auch einen wohltuenden Ausgleich durch den Chor.

Vorstandskollege Friedrich Mihm war früher auch im Knabenchor, allerdings bei der St. Josef. Im Alter von 20 Jahren zog er von Viersen weg, kam vor sechs Jahren wieder. Er sagt: „Ein ganz wichtiger Teil beim Chor ist für mich, in sich zu gehen, die Auseinandersetzung mit sich selbst.“ Gespräche mit anderen Mitgliedern bestätigen, dass viele das soziale Gefüge schätzen, in das man sich einfinden muss. Es könne spannend, aber auch anstrengend sein, in dem Werk Paulus in einem Moment das wütende Volk zu verkörpern, um dann in einen Ausdruck des Glaubens überzugehen – Emotionen und Stimmung zu transportieren.

Welche Stimmen dabei sein können, das war bis Anfang der 1960-er-Jahre strikter begrenzt: Frauen waren nicht erlaubt. „Das war damals eine endlose Diskussion“, wie Korischem erzählt. Renate Bosch kam 1977 dazu. „Da war es normal, dass Frauen dabei sind“, sagt die 70-Jährige. Heute sind die Frauen in der Mehrheit.

Park ist seit rund fünf Jahren der Kantor, hatte hier seinen Berufseinstieg nach dem Studium und führte den Chor durch die „turbulente“ Corona-Zeit, wie er sagt.

Foto: Timo Sieg

Einige Menschen sind von außerhalb dazugekommen, auch solche im Vorstand: Ellen Schaumberg (54) ist evangelisch, Christiane Haut (66) kommt aus Krefeld, Monika Steffen (50) kam von einem anderen Chor. Sie alle seien offen von der Gemeinschaft aufgenommen worden. Der Zusammenhalt habe sich unter anderem gezeigt, als die Mitglieder während der Pandemie zur Martinszeit Weckmänner an Viersener Haustüren verteilten. Dieser Zusammenhalt sei ein weiterer Grund dafür, dass der Chor nach wie vor besteht.

Auf Zuverlässigkeit wird Wert gelegt, nicht anders als im Teamsport. Das gilt besonders bei den großen Werken, denen sich der Chor annimmt, und besonders in der Vorbereitung auf das große Jubiläumskonzert. „Das ist mit der Champions League beim Fußball vergleichbar“, sagt Chorleiter Park. Der Anstoß des Finales rückt näher, und die Vorfreude steigt.