Kunstaktion in Viersen Spaziergang mit Straßenlaterne
Viersen. · Aktionskünstler Jan Philip Scheibe ist mit seiner transportablen Straßenlaterne in Viersen unterwegs. Er besucht an vier Tagen vier Stadtteile.
Vor dem Helenenbrunnen in Helenabrunn liegt eine 3,25 Meter lange Straßenlaterne am Boden. Daneben parkt ein Generator, der mittels eines roten Kabels mit der Laterne verbunden ist. Beide Gegenstände werden von den 14 Besuchern, die sich vor dem Brunnen eingefunden haben und die im Nieselregen unter Regenschirmen stehen oder die Kapuzen über die Köpfe gezogen haben, neugierig beäugt. Nicht minder neugierige Blicke fallen auf den Mann, der im grauen Anzug und blauem Hemd neben den beiden Gegenständen steht und dem der Regen nichts auszumachen scheint.
„Eine Straßenlaterne hat für mich eine besondere Bedeutung“, sagt Jan Philip Scheibe. „Als ich ein Kind war und gerade laufen konnte, gab meine Mutter vor, dass ich bis zur Straßenlaterne laufen durfte. Als ich größer wurde, hieß es, ich solle zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angehen. An die Laterne daheim in Lemgo kam ein Basketballkorb, wo wir gespielt haben.“ Mit diesen Erinnerungen aus seiner Kindheit und Jugend startet Scheibe einen ganz besonderen Abend unter freiem Himmel. Der Aktionskünstler lädt zu der Performance „Shouldered street light“ ein.
An insgesamt vier Tagen ist der 48-Jährige mit seiner Laterne in Viersen im Rahmen des 50. Stadtgeburtstages und dessen Mottos „Vier sind Viersen“ unterwegs. Viersen, Süchteln, Dülken und Boisheim gehören mit einem jeweils rund drei Kilometer langen Rundgang zu seinen Stationen. Ein Walking Act, der Heimat in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Das Ganze gehört zum Projekt „Stadtbesetzung“ des Kultursekretariates NRW Gütersloh.
Seit 2009 ist Scheibe mit seiner Laterne in ganz Europa unterwegs. „Es hat bei meinen Touren noch nie geregnet. Ich habe mit der Laterne im Sandsturm auf Lanzarote gestanden. Minus 35 Grad Kälte und Schnee in Lappland erlebt und stehe hier jetzt erstmalig im Fieselregen am Niederrhein“, bemerkt er lächelnd. Wo immer er die Laterne aufrichte, fühle er sich mit dem Ort verbunden. Die Orte würden zu seiner Künstlerheimat, fügt Scheibe an.
Dann ist es soweit. Scheibe wirft den Generator mittels des Startseils an. Dreimal zieht er das Seil an, dann brummt der Generator auf und verbreitet einen leichten Dieselgeruch. Die am Boden liegende Laterne leuchtet auf. Scheibe nimmt die Laterne auf die rechte Schulter und hält sie fest. Der Generator kommt in die linke Hand. Zu tragen hat er dabei ordentlich. Der Generator wiegt zwölf Kilogramm und die Laterne aus Alu mit LED-Beleuchtung elf. Der feine Nieselregen ist etwas stärker geworden, aber das irritiert den Performance-Künstler nicht. Unbeeindruckt vom Regen marschiert er in seinem grauen Anzug die Heimerstraße hinunter, um direkt in die Brunnenstraße abzubiegen. Ein kurzer Stopp, um die Lage der Laterne auf seiner Schulter zu optimieren und es geht mitten auf der Straße weiter.
Wie eine schweigende Prozession haben sich die 14 Gäste hinter ihm eingeordnet und das mit Abstand zueinander. Regenschirme und Kapuzen bestimmen das Bild. Vorübergehende Passanten auf den Bürgersteigen bleiben stehen und blicken dem Mann mit der Laterne staunend hinterher. Ein magischer Zauber geht von ihm aus, zumal Scheibe absolut schweigend wandert und nur kurz stoppt, um die Laterne zu richten. Irgendwie wirkt das Bild auf den Betrachter völlig entrückt. Die Dämmerung senkt sich herab und stellt Scheibe auf seinem Weg mehr und mehr in den Mittelpunkt. Dort, wo er hinleuchtet, erfahren die Besucher Helenabrunn einmal auf eine andere Art und Weise.