Vor genau 70 Jahren: Als in Lobberich eine V1 einschlug

Manfred Meis beschäftigt sich schon lange mit der Geschichte Lobberichs und sprach mit vielen Zeitzeugen.

Lobberich. Die einen sahen „ein Objekt wie eine Lötlampe, wo am Ende eine Flamme war“. Andere erblickten einen „roten Feuerschweif über unseren Köpfen“. Der 13-jährige Leo Kox „hörte plötzlich ein knackendes Geräusch, so als wenn ein Auto eine Fehlzündung hat. ( . . . ) In Höhe der Kirchturmspitze näherte sich mit unregelmäßigem Ausstoß des Triebwerks und taumelnden Flügelbewegungen eine V 1“.

Am Montag, 19. Februar 1945, vor 70 Jahren also, schlug dieser Vorläufer moderner Marschflugkörper im Westen des Zentrums von Lobberich ein. Die V 1 (von Propagandaminister Joseph Göbbels „Vergeltungswaffe“ genannt, offiziell Flakzielgerät Fi 103) traf in der unteren Hochstraße das dem Ingenhovenpark gegenüber stehende Hotel Köster. Etwa 35 Menschen starben, an die Hundert wurden verletzt.

Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt. Im Hotel befanden sich an diesem Morgen etwa 40 Offiziere des Volkssturms. Neben den namentlich bekannten zivilen Opfern gab es auch unter ihnen Tote. Der Absturz und seine Umstände wurden geheim gehalten, offizielle Stellen bläuten den Lobberichern ein, es habe sich um eine Bombe der Alliierten gehandelt.

Knapp zwei Wochen später war der Krieg beendet. Am 2. März marschierten Amerikaner von Dyck her in den Ort ein. Lange Zeit beschäftigte sich kaum noch jemand mit dem Einschlag der V 1. „Die Familien und die Opfer blieben sich letztlich selbst überlassen“, sagt Manfred Meis. Der Diplom-Volkswirt und Journalist ist 1940 geboren. Er hat sich jahrzehntelang immer wieder mit dem verheerenden Zwischenfall beschäftigt und eine große Zahl an Dokumenten ausgewertet. Sein Vater Hans Meis hatte sich immer schon mit der Lobbericher Ortsgeschichte beschäftigt.

Immer wieder sprach er mit Menschen, die den Absturz erlebt hatten. Meis vertiefte seine Kenntnisse, fand Widerspräche bei den Aussagen der Zeitzeugen heraus, filterte Informationen und verdichtete sie. Das Ergebnis seiner Nachforschungen hat er für den im November erschienenen Band „Land und Leute — Zur Geschichte Lobbericher Familien“ gestrafft niedergeschrieben.

„Das ist längst nicht alles, was ich mittlerweile weiß“, sagt Meis. Unermüdlich und beharrlich hat er nach Menschen gesucht, die über den Absturz berichten konnten. „Es waren hauptsächlichen Frauen“, erinnert er sich — die Männer waren Soldaten oder zum Zeitpunkt des Absturzes aus beruflichen Gründen nicht in Lobberich.

Meis kennt auch die Vorbehalte von Historikern gegen „Oral History“, also durch Zeitzeugen erzählte Geschichte. Beschönigungen und Dramatisierungen sowie fehlerhafte Informationen sind nicht selten. Darum geht es Meis aber nicht. „Beschäftigen wir uns mit den Menschen, die das er- und durchlebten“, sagt er. Um ihr Schicksal hat sich nie jemand wirklich gekümmert. Viele haben unter traumatischen und physischen Folgen bis zu ihrem Lebensende leiden müssen. Vor allem die Kinder haben die Geschehnisse nie wirklich verarbeiten können. Es gab keine psychologische Betreuung und Begleitung. Spätere gesundheitliche Beeinträchtigungen bei Überlebenden hatten häufig ihre Ursache in nicht erkannten oder nicht ausreichend behandelten Verletzungen.

„Mir ging es bei der Schilderung der Katastrophe vor allem darum, neben den amtlich festgehaltenen Fakten auch die Schicksale der Menschen zu schildern und der Nachwelt zu überliefern“, sagt Manfred Meis.