Als es noch zweimal Deutschland gab waren die Schüler noch nicht geboren

Ehemaliger Diplomat berichtet Liebfrauenschülern vom Ende der Teilung.

Foto: Kurt Lübke

Willich. Als die Mauer fiel, waren Lena, Philip, Leonie und die anderen Schüler der Klassen 9a und 9d der Mülhausener Liebfrauenschule noch nicht geboren — die meisten von ihnen sind Jahrgang 2000. Die Geschichte der Teilung und der Wiedervereinigung kannten sie daher bislang nur aus dem Geschichtsunterricht.

Leonie, Schülerin

Deswegen organisierten Geschichtslehrerin Heidi Dahl und Juliane Rades vom Berliner Verein Deutsche Gesellschaft die Begegnung mit einem Zeitzeugen. Der 1934 in Frankfurt/Main geborene Diplomat Claus Duisberg war während des Kalten Krieges unter anderem an der Botschaft in Moskau sowie an der Ständigen Vertretung tätig gewesen. Im Mariensaal des Gymnasiums berichtete er nun mit ruhiger Stimme von der Zeit, als es noch zweimal Deutschland gab.

Auch das Furchtbare sparte er nicht aus, erzählte unter anderem davon, wie er Häftlinge im „Gelben Elend“ besuchte. So nannte der Volksmund — wegen ihres Anstrichs — die berüchtigte Justizvollzugsanstalt in Bautzen, die heute als Symbol der politischen Verfolgung gilt. Duisberg traf im Gefängnis Menschen aus der Bundesrepublik, die beispielsweise wegen Fluchthilfe von DDR-Gerichten verurteilt worden waren.

Als eine Schülerin wissen wollte, warum die DDR im Jahr 1989 keine militärischen Schritte gegen das Ende der Mauer eingeleitet hätte, antwortete der Zeitzeuge aus der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn mit dem berühmten „Gleichgewicht des Schreckens“: Ein völlig eskalierter Konflikt zwischen Warschauer Pakt und Nato wäre nach seinen Worten in einem globalen Desaster geendet. „Beide Seiten waren hochgerüstet, vor allem mit Atomwaffen. Und jede Seite wusste: Wenn ich losschlage, kommt der Gegenschlag — und wir sind alle tot.“

Am Ende dieser besonderen Geschichtsstunde äußerten sich die Schüler beeindruckt. „Es ist spannender, als einfach nur Daten und Fakten zu lernen“, sagte Jan. Und Leonie fügte hinzu: „Ein Geschichtsbuch kann nicht vermitteln, wie die Menschen damals empfunden haben.“

„Wir haben das große Glück, dass wir in einer freien und offenen Gesellschaft leben“, betonte der Gast zum Schluss. Und mit Hinweis auf den Wert einer lebendigen Demokratie gab er den Jugendlichen mit auf den Weg: „Beteiligt euch, seid aktiv.“