Anrath: Rückblick mit Wehmut
Vor 15 Jahren war in der Tuchfabrik Jakob Krebs endgültig Schluss. Ehemalige Mitarbeiter erinnern sich.
Anrath. Sicher, Vergleiche sind schwierig, Übertreibungen schnell gesagt und herbeigeschrieben. Dennoch: Das war ein mittelschweres Erdbeben, das durch Anrath ging. Jakob Krebs - die Tuchfabrik - war pleite.
Musste Konkurs anmelden, etwa 250 Beschäftigte standen im Herbst vor 15 Jahren auf der Straße. Viele von ihnen ohne jede Perspektive, ohne Chance. Wie war das? Hatte der Fall des Traditionsunternehmens sich angekündigt? Wie haben Beschäftigte ihn erlebt? Die Westdeutsche Zeitung traf ehemalige Beschäftigte und warf mit ihnen einen Blick zurück - mit Bitterkeit und Wehmut.
Ludwig Pöllen (66) war Anfang der 60er Jahre zu dem Unternehmen gekommen, arbeitete 32 Jahre als Lohnbuchhalter. "Bis zum Weihnachtsgeld war alles normal bezahlt worden", erinnert er sich.
Erst als die Januar-Gehälter nicht überwiesen wurden, wurden viele hellhörig. "Wir hatten von einem Lieferanten was gehört", sagt Gaby Bisges zurückblickend. Sie hat 22 Jahre in dem Unternehmen gearbeitet, zum Schluss im Vertrieb für die Auto-Polsterstoffe. "Die hatten wiederum eine Warnung über die Kreditversicherung bekommen."
Am 15. Februar wurde die Belegschaft im alten Stopfsaal zusammengetrommelt, Firmenchef Hans-Jakob Krebs - interner Name "der Doktor" - trat vor die Beschäftigten und erklärte, er habe Vergleich angemeldet. Insolvenzverwalter war der Krefelder Anwalt Eberhard Stock.
Die Firma Krebs war immer eine feste Größe in Anrath, mit Lange (Verseidag) und Schmico einer der großen Arbeitgeber. 1890 von Albert Dederichs gegründet, hatte der Mönchengladbacher Jakob Krebs die Firma 1907 übernommen und mit ihren Spezial-Tuchen und Kammgarnen erfolgreich auf den nationalen und internationalen Markt gebracht.
Durch die Umstellung auf Chemiefasern gelang der Weg durch die Wirtschaftskrise der 20er und 30er Jahre, bei Krebs standen rund 500 Mitarbeiter in Lohn und Brot. Generationen fanden hier Arbeit.
"Meine Eltern und meine Oma haben schon dort gearbeitet", sagt Gaby Bisges. Sie hatte sich zunächst gesträubt, dann aber die Ausbildung angetreten. "Und die war klasse."
Jener 15. Februar 1994 war der Altweiber-Donnerstag. "Da wurde normalerweise Party gemacht, auch wenn der Doktor das gar nicht gerne sah", sagt Gaby Bisges. Oft seien sogar die Prinzenpaare aus der ganzen Umgebung zu Gast gewesen.
An diesem Tag war niemand nach Party zumute. "Der Insolvenzverwalter hat versucht, die Leute zu motivieren, hat immer wieder gesagt, dass es sicher weitergehen wird", erklärt Ludwig Pöllen. Was unter anderem dazu führte, dass die Beschäftigten samstags anrückten und solche Dinge erledigten wie Briefe zu kuvertieren.
Pöllen erinnert sich auch, dass ein Unternehmensberater im Vorfeld der Insolvenz im Geschäft war. Da sei das Unterste nach Oben gekehrt worden, der Chef sei allerdings nicht zur Umsetzung radikaler Änderungen bereit gewesen. "Es hieß, Aufträge seien da, aber die Banken würden nicht mehr mitmachen", sagt Gaby Bisges. Übrig blieb ein Loch von zwölf Millionen Mark.
1953 hatte Krebs in umfangreichen Laborversuchen und Testreihen ein neuartiges Mischgewebe entwickelt: Unter dem Namen Trevira gelangte es zu Weltruhm und wurde für den Weltmarkt hier produziert.
Noch in den 70er Jahren fertigte die Fabrik edle Herrenoberstoffe, 1973 waren im Werk noch 360 Menschen beschäftigt. Vertreter großer Firmen wie Hugo Boss, Gardeur oder C&A gaben sich die Klinke in die Hand.
Räumlich wuchs Krebs, ein Unternehmensteil, der zur früheren Firma Fritz Krebs gehört hatte, wurde wieder in Beschlag genommen. Die Modernisierung führte allerdings dazu, dass die Arbeitsplätze kontinuierlich abgebaut wurden.
In der Endphase jagte eine Betriebsversammlung die andere. Irgendwann war klar: Es gibt keine Rettung. Der "Doktor" trat vor die Belegschaft und erklärte: "Ich gehe hier als nackter Mann raus, Gott schütze Euch!" Dieser Satz macht bis heute viele Ehemalige wütend. "Der hatte seine Schäfchen längst im Trockenen", heißt es immer wieder.
Hans-Jakob Krebs wohnt bis heute auf seinem Anwesen in Tönisvorst-Kehn, das von seinen Ehemaligen "Ponderosa" genannt wird. Es gab viele, die nicht mehr auf die Füße kamen. "Die meisten wussten ja nicht, wie man eine Bewerbung schreibt", erklärt Gaby Bisges.
"Wie auch, wenn man immer bei der gleichen Firma ist." Die Aufträge wurden abgearbeitet, im Herbst war Schluss. Ludwig Pöllen war einer der letzten, die gingen. Es dauerte bis Ende 1996, bis er wieder einen Job fand, bei einer Firma für Imbiss- und Gastronomiebedarf.
Gaby Bisges landete schließlich bei der Textilfirma Irmen in Korschenbroich. "Bis heute treffe ich mich noch mit vielen zur Weihnachtsfeier", sagt sie. Das gab’s für Krebs nicht. Regelmäßige Treffen, Feiern oder Stammtische wurden nie organisiert. Man sieht sich sich bisweilen auf Volksfesten oder in Kneipen. Und blickt dann zurück - in Bitterkeit und Wehmut.