Kreis Viersen Mücken und Wespen sind wichtig

Sie gelten als Plagegeister des Sommers. Doch Vögel und Fledermäuse brauchen Insekten zum Überleben.

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Beim ersten Angriff kann der Falter noch entkommen. Kreuz und quer fliegt er zwischen Blumen und Sträuchern umher. Doch die Libelle gibt nicht auf. Gekonnt schnappt sie sich ihr Opfer im Flug, lässt sich in einer Hecke nieder und beginnt — mit hörbarem Knurpsen — den Falter zu verspeisen. Das dramatische Naturschauspiel im Kleinformat war vor wenigen Tagen in einem Garten in St. Tönis zu beobachten.

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Im Sommer schimpfen viele Menschen über Insekten. Über den Schlaf raubende Mücken, dreiste Fliegen und Wespen, die es auf den sonntäglichen Pflaumenkuchen abgesehen haben. Aber auch diese Insekten haben eine wichtige Funktion, wie der Biologe Peter Kolshorn von der Biologischen Station Krickenbecker Seen in Nettetal betont. Sie dienen anderen Tieren als Nahrung, zum Beispiel den Vögeln. „Auch Vögel, die in ihrem späteren Leben Pflanzen- und Körnerfresser sind, werden zunächst mit tierischem Eiweiß gefüttert“, erklärt der Biologe. Ein Meisenpärchen etwa fange pro Tag mehrere hundert Insekten, um den Nachwuchs satt zu bekommen.

Was Naturschützern Sorge bereitet: Es gibt immer weniger Tiere, die summend und brummend unterwegs sind. „Anfang der 80er Jahre war ich dienstlich viel mit dem Auto unterwegs“, erzählt Georg Lüdecke vom Nabu Kempen-St. Hubert-Tönisberg. Regelmäßig habe er aussteigen und die Windschutzscheibe säubern müssen — weil diese voller toter Insekten gewesen sei. „Das hat sich total geändert“, sagt Lüdecke.

Das kann Kolshorn nur bestätigen. Er verweist auf Untersuchungen, bei denen im Abstand von 25 Jahren Fallen aufgestellt wurden. „Unter gleichen Bedingungen ist das Gewicht der gefangenen Insekten um 80 Prozent zurückgegangen.“ Die Wissenschaft gehe davon aus, dass es dafür mehrere Gründe gebe. Es habe sicher auch etwas „mit der Verarmung der Landschaft“ zu tun.

Und der Rückgang der Insekten führe eben zum Rückgang von Vögeln und anderen Tieren. Dazu zählen auch die „gefürchteten“ Hornissen. „Sie ernähren sich mit Vorliebe von Fliegen, Wespen und Mücken“, sagt der Biologe. Dass sie sehr weit oben auf der Angst-Skala stehen, dafür hat der Niederkrüchtener kein Verständnis. „Ich habe bei mir am Haus zwei Hornissenvölker — davon merke ich kaum etwas.“

Einen ganz ähnlichen Speiseplan haben Fledermäuse. „Gegen 22 Uhr sitze ich oft in meinem Garten zwischen St. Hubert und Tönisberg und beobachte die Tiere — die es zum Glück bei uns noch gibt“, sagt Georg Lüdecke über diese biologische Form der Insektenvernichtung.

Peter Kolshorn erinnert daran, dass die alljährlichen „Plagen“ ja zeitlich sehr begrenzt sind. Beispiel Wespen im August: „Das ist die Zeit, in der die Völker sich auflösen.“ Kurz vor ihrem Tod hätten dann die einzelnen Tiere „nichts mehr zu tun“, flögen herum und setzten sich auf die Kuchen. Nur die Königinnen überwintern und gründen dann im nächsten Jahr ein neues Volk.

Und in Sachen Mücken kann es deutlich heftiger zugehen als im Kreis Viersen. „Ich komme gerade aus Norwegen“, berichtet der Mitarbeiter der Biologischen Station. „Die Vögel, die dort in der Tundra brüten, müssen ihr Nest gar nicht verlassen.“ Die Mückenschwärme flögen ihnen in den offenen Schnabel — das klingt wie das Märchen vom Schlaraffenland.