Willich Festpiele: Teuflisch guter Abend im Neersener Gericht
Bei den Schlossfestspielen erlebte das Publikum eine gelungene Premiere von „Der zerbrochene Krug“. Hauptdarsteller Michael Schanze führt ein gutes Team.
Das war alles andere als eine gute Nacht. Blutende Wunden am kahlgeschorenen Kopf, Schrammen im Gesicht, Unterwäsche, die sicher schon sauberer war, eine schwere Verletzung am Bein, an dem ohnehin bereits ein Klumpfuß eine Behinderung ist. In diesem Zustand stolpert Michael Schanze als Dorfrichter Adam auf die Bühne des Schlosses Neersen, die an diesem Abend ein Gerichtssaal ist. Dort beginnt er mit einer dürftigen Wäsche und einer noch dürftigeren Versorgung seiner Wunden. Zwischendurch ein Schnaps — und permanent ist Richter Adams schmerzvolles Stöhnen und Zischen zu hören.
Ohne ein Wort zu sagen, hinterlässt Schanze samt seinem massigen Körper in Unterwäsche in diesen ersten Minuten des Stücks „Der zerbrochene Krug“ bereits bleibenden Eindruck. Staunend beobachten die Zuschauer auf der ausverkauften Festspieltribüne das qualvolle Wundenlecken des Richters. Bis Schreiber Licht (Gideon Raap) das Gericht betritt. Mit ihm beginnen die meist in Blankversen gehaltenen Dialoge des Stücks. Und mit diesen ersten Sätzen beginnt die Aufklärung der Geschehnisse, die Adam so arg lädiert haben.
Mit dem Werk von Heinrich von Kleist, das 1808 uraufgeführt worden ist, hat Festspiel-Intendant Jan Bodinus einen Klassiker der deutschen Literatur auf die Schlossbühne gebracht. An der Sprache haben er und sein Ensemble etwas gefeilt — „es ist ein bisschen heutiger“, wie Hauptdarsteller Schanze schon vor einigen Wochen im WZ-Interview gesagt hatte. Diese sprachliche Mischung kommt an. Das Premierenpublikum verfolgt gebannt, aber auch entspannt die Dialoge.
Schanze merkt man an, dass er sich unglaublich auf die Rolle des Dorfrichters gefreut hat. Voller Inbrunst spielt er Adam, der in einem niederländischen Provinzgericht des 17. Jahrhunderts aufklären muss, wer den Krug der Marthe Rull (Verena Wüstkamp) zerbrochen hat. Als Verdächtiger gilt Ruprecht, der Verlobte von Marthes Tochter Eve. Doch schon früh ist klar, dass Richter Adams Wunden im Zusammenhang mit dem zerbrochenen Krug stehen. Unter Aufsicht des Gerichtsrats Walter versucht Adam, dass seine Sündenfälle — der Krug und Eve — nicht ans Licht kommen.
Aber Licht, der Schreiber des Richters, ist dann maßgeblich an der Erhellung beteiligt. Trotz eines Vier-Augen-Bekenntnisses zu seinem Herren Richter arbeitet er fortan daran, dass der Richterstuhl für ihn frei wird. Am Ende wird der Schreiber in der Bodinus-Interpretation gar in die Nähe des Teufels, der von Adams Sündenfall profitiert, gerückt. In der Rolle Lichts überzeugt Gideon Rapp auf ganzer Linie — wie schon im Vorjahr in seiner Hauptrolle in „Die Feuerzangenbowle“. Rapp glänzt mit perfekter Aussprache. Seine Mimik ist einfach teuflisch gut.
Genauso wie Hans-Herrmann Hoff als Gerichtsrat Walter erhält Rapp nach dem Stück tosenden Sonderapplaus. Neben Festspiel-Star Schanze sind es vor allem diese beiden Akteure, die restlos überzeugen. Hinter der Justiz müssen sich die anderen Mitglieder des Ensembles aber nicht verstecken. Maria Arnold als Eve und Holger Stolz als Ruprecht überzeugen ebenso. Das Ensemble auf der Bühne ist ein gutes Team.
Und — um beim sportlichen Sprachbild zu bleiben: Michael Schanze ist der Kapitän dieses Teams. Im Vorfeld hatte er davon gesprochen, dass die Dorfrichter-Rolle im Kleist-Lustspiel zu einem Meilenstein in seiner Theaterkarriere werden soll. Nach dem Premierenabend am Samstag kann man ohne Zweifel sagen: Der 70-jährige TV-Star setzt in Neersen Maßstäbe.
Deshalb bleibt nach dem Ende einer äußerst schlechten Nacht nur ein Fazit: Ihre Aufklärung war ein voller Erfolg. Das war ein guter Abend im Neersener Gericht.