Willich 120 Minuten Frank Sinatra — bieder und brav
Im Rahmen der Festspiele stand ein Abend im Zeichen von „The Voice“ — Gänsehaut-Momente bescherte dieser aber nicht.
Neersen. Dienstagabend, 23.17 Uhr. Ich suche alte Musik-Videos von „The Voice“. Ich will das Original hören. „Sinatra“: Google spuckt aktuelle Schlagzeilen aus. Der erste Recherchetreffer gilt seiner Witwe, Barbara Sinatra. Mit ihr war Frank „Ol’ Blue Eyes“ von 1976 bis zu seinem Tod 1998 verheiratet, länger als mit jeder anderen zuvor. Sie ist an diesem 25. Juli gestorben. 90 Jahre wurde sie alt.
Eben war noch von ihr die Rede gewesen; von der Nachbarin, mit der der Sänger, Schauspieler und Entertainer am Gartenzaun plauderte und sie später zu seiner vierten Ehefrau machte. In einer Frank-Sinatra-Story dürfen die Frauen ebenso wenig fehlen wie die Hits. Von beiden hatte Francis Albert „Frank“ Sinatra genügend.
Der Salzburger und Wahl-Berliner Christoph Schobesberger war mit der routinierten Michael Götz Band und Susanne Eisenkolb, einer erfahrenen Musical-Sängerin, in Neersen, um dieses schillernde Leben, stets beäugt und kommentiert von der Weltöffentlichkeit, zu moderieren. Eine musikalische Zeitreise von 120 Minuten mit dichter Hitfolge.
Schobesberger setzte sich den Hut auf, nippte Jack Daniel’s und besang Höhen und Tiefen im Leben eines Idols: Sinatras Einstieg ins Musikgeschäft, erste Erfolge, Konzerte, Film- und Fernsehkarriere, den Hype um den charismatischen Amerikaner mit sizilianischen Wurzeln. Schobesbergers Programm war im Vorjahr bestens angenommen worden. Die „Story“ wurde daher erneut ins Programm der Schlossfestspiele aufgenommen. Die Rechnung ging auf. Abend ausverkauft. Am Ende wieder ein anhaltend herzlicher Beifall für Band und Sänger. Aber es blieb einer ohne Zugaberufe und stehendes Applaudieren.
Es war kein Auftritt der Gänsehaut-Momente; Momente, in denen Musik und Sänger die Seele packen, anrühren, keinen Raum lassen für abschweifende Gedanken; wenn der kopierende Interpret — und sei es nur für Momente — an das Ideal heranreicht. Schobesberger, einst Wiener Sängerknabe, mit Gesangs- und Schauspielausbildung am Max Reinhardt Seminar, fehlte diese Selbstverständlichkeit in der Präsenz, vor allem die lässige Präzision. Auch sie machte Sinatra zur Legende.
Sinatra war leidenschaftlich, schnell entflammbar, selbstverliebt, einer, der das Rampenlicht suchte und der jede Bühne, wie groß sie auch war, vom ersten Ton zu seinem abgesteckten Terrain machte. Er war Chef im Ring, nahm es mit Big Bands auf und blieb doch Chef. Mit dieser dosierten Exzentrik spielte Schobesberger für meinen Geschmack viel zu wenig. Durchgängig — auch in den Duetten — blieb er eher bieder und brav, nicht lässig, brüchig, trotzig, sinnlich, verführerisch. Hollywood und Chicago blieben in Neeren fern. „True love“ entwickelte sich nicht.
Sinatra erzählte in seinen Hits immer eine Geschichte. Er spielte mit jedem Ton, dehnte sie, zog wieder das Tempo an, wurde laut, überließ der Musik den Vortritt, um dann umso energischer das Zepter wieder in die Hand zu nehmen. Ihm gelang die Verschmelzung von Instrument und Stimme. Diese musikalische Präsenz ging unter die Haut.
„I’ve got you under my skin“ — für meinen musikalischen Abend mit Schobesberger in Neersen galt das leider nicht. Irgendwie bleiben wir Fremde in der Nacht. Trotzdem Danke für den Abend. Ich habe wieder Sinatra im Ohr. Um Mitternacht „Fly me to the Moon“.