Neersen: Ein amüsanter Abend mit vielen Lügen
Theater: Der Schwank „Der Raub der Sabinerinnen“ ging am Samstag zum ersten Mal über die Bühne der Schlossfestspiele Neersen.
Neersen. "Die Leute liegen (vor Lachen) unter dem Stuhl. Ich auch." Das schrieb der Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr bei der Erstaufführung des Schwanks "Der Raub der Sabinerinnen" 1884. Im Jahr 2010 sind die blauen Plastiksitze bei den Neersener Schlossfestspielen zwar ohne Sitzkissen bekanntermaßen recht ungemütlich und wären ein weiterer Grund für eine Rutschpartie gen Boden.
Aber fast alle Zuschauer der ausverkauften Premiere der Sabinerinnen blieben sitzen, so oder so, egal wie sehr sie auch lachen mussten. Bis auf ganz wenige, die ihre Plätze nach der Pause nicht mehr bezogen, gefiel es dem Rest des Publikums so gut, dass ein Großteil am Ende zwar nicht auf den Stühlen blieb. Aber nur um dem Ensemble im Stehen Applaus zu spenden.
Einen amüsanten Abend schenkten die neun Schauspieler ihren Gästen. Und das Versprechen des Regisseurs Reinhardt Friese, dass auch die kleinen Rollen groß raus kommen, erfüllt gleich vom ersten Akt an das Dienstmädchen Rosa (Claudia Dölker). Sie wird zu einem der Lieblinge des Publikums und braucht mit Fortschreiten des Stücks eigentlich nur noch um die Ecke biegen und in ihrer eigenen Art von der Bühne blicken. Sie kann albern schleichen, auffällig Tee schlürfen und herrlich an ihrer Schürze frimeln. Dazu wackelt lustig ihr Dienstmädchen-Schleifchen auf dem Kopf, und schon hat sie die Lacher auf ihrer Seite. Und auch eine Nebenrolle wie die des Weinhändlers Karl Groß wird wunderbar mit Leben gefüllt. Jürgen Hoppe berlinert sich durch die Szenen einer Familie in Aufruhr.
Denn hier geht alles durcheinander. Weil der Direktor eines Wandertheaters Emanuel Striese beim Gastspiel in einer Kleinstadt wie viele Male zuvor, nach einem Autor aus dem Ort sucht, weil ihm das, egal, wie gut oder schlecht das Stück, das Theater "bumsdickevoll" macht. Weil die Jugendsünde von Herrn Professor Martin Gollwitz, eine Römertragödie mit dem Titel "Raub der Sabinerinnen", laut Striese genau die richtige "Butter auf seine Bemme" ist. Und weil der Herr Professor wegen seiner Gattin Friederike, die Theater verpönt, eine "ungenannt sein wollende Persönlichkeit" bleiben möchte. Als seine hoch geschlossene und höchst gestrenge Gattin mit Tochter Paula frühzeitig aus der Kur im Seebad Heringsdorf heimkehrt, scheint alles aus.
Aus einer Lüge entwickelt sich ein Strudel von Lügen, der noch beschleunigt wird durch die zweite Tochter der Familie, Marianne. Weil ihr Mann Dr. Neumeister nach ihrer Ansicht ein "Vorleben" haben muss und sie keine Ruhe gibt, bedient der sich der Abenteuer seines ehemaligen Studienfreundes. Falsche Beichten, eine übermotivierte Schwiegermutter sorgen noch für viel Irrungen, Trubel und Slapstick-Szenen.
Dabei füllt Rainer A. Güther, der in Neersen schon für Rollen wie etwa den "Nathan" gefeiert wurde, auch diesmal seine Rolle bestens aus, selbst wenn dem Schweizer das Sächseln des Theaterdirektors aus "Leipzsch" nicht immer ganz leicht von der Zunge geht. Markus Rührer ist ein überzeugender "Herr Professor" in all seiner Trotteligkeit und späteren Verzweiflung, auch wenn seine Spielart droht, zwischen besonders klamaukigen Figuren nicht hervortreten zu können. Susanna Mucha - Neuling bei den Festspielen - gibt an der Seite des als "junger Held" oder "junger Liebhaber" in Neersen bewährten und wieder bestens besetzten Wolf-Guido Grasenick als Emil Groß eine glaubhaft schwärmende, aufgeregte und freche Tochter Paula.