Probleme der Schauspieler-Branche Gideon Rapp: „Wir müssen uns im Arbeitsverbot selbst retten“

Neersen · Der von den Neersener Schlossfestspielen bekannte Schauspieler spricht über Existenzsorgen und die Ungleichbehandlung von Künstlern bei Finanz-Hilfen des Staates. In einem offenen Brief beschreibt er die derzeitige Lage und düstere Aussichten.

Gideon Rapp ist Schauspieler, Autor und Regisseur.

Foto: Rapp

Es ist viereinhalb Jahre her, da schleuderte das Neersener Schlossfestspiel-Publikum ihm Bravorufe entgegen. Die schreibende Zunft überschüttete Schauspieler Gideon Rapp in seiner Doppelrolle als „Gestiefelter Kater“ und spanischer Edelmann mit Lobeshymnen. Rapp brillierte im Kinderstück, gab sich mal leicht und heiter, elegant und gleich in der nächsten Szene kämpferisch und aufbrausend. Seine Auslegung des Spiels wurde neben der Gage für den Drei-Monats-Vertrag am Neersener Schloss mit Beifall und Bewunderung belohnt. In solchen Momenten kann es Schauspielern nicht besser gehen.

Jetzt schreiben wir das Jahr 2021. Und das neue Jahr schreibt in dieser frühen Phase die 2020er-Spielzeit ohne Vorstellungen, ohne Gagen und ohne Applaus fort. Nicht nur in Neersen. Bundesweit. Gideon Rapp ist wieder kämpferisch. Verbal fast ein wenig aufbrausend. Und erhält dafür vielfach zustimmendes Echo.

Rapp beschreibt in einem offenen Brief, den er über seinen Facebook-Account verbreitet hat, die Lage seiner Branche. Die der Schauspieler ohne finanzielle Absicherung. Und legt eine Ungerechtigkeit in der Auszahlung von Hilfen für Künstler offen.

Millionenhilfen angekündigt, aber viele fallen durchs Raster?

Wie kann das? Wo doch Kanzlerin und Politiker von Millionenbeträgen sprechen, die zur Auszahlung kommen, um den Künstlern in Deutschland zu helfen? „Die meisten von uns fallen durch jegliches Raster und haben zwar die gleichen Einbußen wie die immer wieder für die Hilfen vorgeführten „Solo-Selbstständigen und Freiberufler“, aber keinen Cent der groß betonten x-Millionen Hilfen gesehen“, sagt Rapp im Gespräch mit der WZ.

Künstler sei nicht gleich Künstler. „Der Großteil steht nach wie vor vor Existenzproblemen.“ Nur einem winzigen Teil der Branche werde mit der angekündigten Hilfe geholfen. Nachbesserungen auf Seiten der politischen Entscheider seien trotzdem nicht in Sicht. Genau da aber will Schauspieler, Regisseur und Autor Rapp ansetzen. Von Baden-Württemberg aus, von Stuttgart, der Stadt, die sein neuer Lebensmittelpunkt geworden ist.

0,9 Prozent der Schauspielerkollegen, schätzt Rapp, könnten von ihrem Beruf leben. Festangestellte Schauspieler am Theater und beim Film, Kollegen also mit unbefristeten Verträgen, gebe es „so gut wie nicht“. Schauspieler unter Vertrag bekommen in der sich dem Theater verschließenden Corona-Pandemiezeit Kurzarbeitergeld. Laufen ihre an Theatern eher üblichen Ein- oder Zwei-Jahresverträge aus, haben die Schauspieler Anrecht auf Arbeitslosengeld. Eine Anschlussbeschäftigung ist zurzeit für die wenigsten in Sicht. Denn in der Ist-Zeit werden Produktionen vom Spielplan genommen oder auf 2022 verschoben. In der Zukunft werden wohl Zwei-Personen-Stücke Konjunktur haben, 15-Mann-Produktionen dagegen wohl eher auf Eis gelegt werden. Theater und das liebe Geld.

Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld ist, „dass ein Schauspieler in den vergangenen 24 Monaten mindestens zwölf Monate lang gearbeitet hat“, erklärt Rapp. Das dürftige Beschäftigungsjahr 2020 macht vielen schon da einen Strich durch die Rechnung. Vor allem den Kollegen, die ihren Lebensunterhalt mit befristeten Gastverträgen verdienen. Und das sei die überwältigende Mehrheit. Gemeint sind Verträge für befristete Engagements an Theatern, wie sie zum Beispiel auch für die Schlossfestspiele in Neersen geschlossen werden. Sie geben den gebuchten Schauspielern für zwei, drei Monate Sicherheit für die Zeit der Proben, Premieren, Produktionen bis zum letzten Vorhang.

„Viele Schauspieler leben in normalen Zeiten bereits von der Hand in den Mund“, so Rapp. Selten bis gar nicht könne man Geld auf die hohe Kante legen. An dem Gagen-Geld nagten schließlich auch Kosten, die anfallen, wenn man sich bei einem Casting in einer anderen Region um eine neue Rolle bemüht. „Wir haben eine gute Theaterdichte in Deutschland“, sagt Rapp. „Aber es gibt auch wahnsinnig viele Schauspieler.“

„Es ist wichtig zu sagen, dass die angekündigte Hilfe bei der Hauptsparte der Künstler, den Gast-Künstlern mit befristeten Arbeitsverträgen, nicht ankommt bzw. dass diese Hilfen nicht vorgesehen sind“, betont Rapp und stellt mit einer Mischung aus Sarkasmus und Fassungslosigkeit fest: „Wir müssen uns im Arbeitsverbot selbst retten.“

Man sitze schließlich nicht bezahlt zu Hause, sondern allein mit seinen Existenzängsten. Für viele Kollegen bleibe nur die Inanspruchnahme von Hartz IV, inklusive der Gefahr, dass es nach Corona weniger Jobs und damit wenig Aussicht auf eine Verbesserung der beruflichen Gesamtsituation gebe. „Und bei Hartz IV-Bezug müssen die Konten von Lebenspartnern offengelegt werden, würden möglicherweise Wohnungsgrößen angekreidet…“

Solo-Selbstständige bekämen laut Rapp sogar mit Hartz IV-Bezug finanzielle Hilfen der Bundesregierung, ohne dass dieses Geld auf Hartz IV angerechnet werde. Für Gastverträge gelte das aber nicht. Rapp möchte mit seinem offenen Brief auf diese Ungleich-Behandlung von Künstlern aufmerksam machen. Nicht, um sie gegeneinander auszuspielen, sondern um vor allem auf die menschlichen Schicksale hinzuweisen. „Mir begegnet sehr, sehr viel Verzweiflung in den unterschiedlichen Branchen“, sagt Rapp.

Er plant eine weitere Schrittfolge seiner Protestnoten. Auch gemeinsam mit Kollegen und gewerkschaftlichen Strukturen. So steht er im Gespräch mit Heinrich Schafmeister, der ehrenamtlich als Schatzmeister beim Bundesverband Schauspiel (BFFS), der Gewerkschaft für Schauspieler, tätig ist. Im Vorstand kümmert sich Schafmeister um die Sozial- und Tarifpolitik.

Gideon Rapp hat gerade einen Brief an den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), formuliert, um auf die Fehler in der Verteilung der Hilfen hinzuweisen. Er will, dass sich bald etwas bewegt. Denn der Lockdown im Theater werde noch lang – und jahrelange Konsequenzen haben.