Schlossfestspiele: Ganze Kerle - vom blassen Mann zur Knallerfrau
„Ganze Kerle“ feierten bei den Festspielen Premiere. Ein Stück so leicht wie ein lauer Abend.
Neersen. Während es aus deutscher Sicht bei der WM-Begegnung Deutschland gegen Ghana wenig zu lachen gab, herrschte auf der Bühne der Schlossfestspiele und bei den Zuschauern am Samstagabend große Heiterkeit: „Ganze Kerle“ von Kerry Renard ist das Gute-Laune-Stück auf dem diesjährigen Spielplan, Unterhaltung so leicht wie ein lauer Sommerabend. Dass so etwas beim Publikum ankommt, hatte 2011 die „Ladies Night“ bereits bewiesen.
Das Bühnenbild scheint auf den ersten Blick keins zu sein: Pappkartons stapeln sich, daneben alte Spinde, ein trostloser Anblick. Mittendrin vier Männer — Männer, die ihr Publikum zweieinhalb Stunden lang großartig unterhalten sollten.
Mit ihren beige-farbenen Hosen, den hellblauen Hemden und den braunen Halstüchern wirken sie uniform und ein wenig wie Pfadfinder: George (Sven Post), Sam (Stefan Gad), Paul (Kay Szacknys) und Manuel (Wolf-Guido Grasenick) sind biedere Paketboten des US-Unternehmens CPS. Dass noch ganz andere Talente in ihnen schlummern, sollte wenig später deutlich werden.
Um es vorweg zu nehmen: Herzstück von „Ganze Kerle“ ist eine Travestieshow, bei der die braven Paketboten zu weiblichen Weltstars mutieren. Die Männer in den blassen Uniformen verwandeln sich in glamouröse Damen — Silke von Paty als Ausstatterin sorgt für so manchen Wow-Effekt.
Ein besonderer Genuss für das weibliche Publikum: Die Verwandlung vom Paketboten zum Travestiekünstler, bei der jede Menge Männerhaut zu sehen ist — ein Weg, gepflastert mit Beschwernissen wie unbequeme Schuhe mit zu hohen Absätzen.
Aber „Ganze Kerle“ ist mehr als nur Klamauk. Erstaunlich, wie facettenreich die Charaktere gezeichnet sind: Sam, der Allergiker, ist ein Muttersöhnchen, George weiß mit seiner Einsamkeit umzugehen, der unglücklich verheiratete Paul greift gerne mal zur Flasche und Manuel verkörpert als Mexikaner den wendigen, gut gelaunten Gastarbeiter mit dem Zeug zum Publikumsliebling. Ein starker Kontrast: ihr einsilbiger Chef Mr. Collins, verkörpert von Hartmut Scheyhing. Er scheint in Konventionen erstarrt, bangt um seinen eigenen Job und entlässt deshalb George, der eigentlich mit einer Gehaltserhöhung gerechnet hat.
„Ganze Kerle“ ist geprägt von Überraschungen: Ist die Tochter von Mr. Collins wirklich von Blindheit bedroht? Die Paketboten planen schließlich eine Travestie-Wohltätigkeitsveranstaltung zu ihren Gunsten. Und ist die Mutter von Sam (Susanne Flury) wirklich so spießig wie von allen angenommen? Verraten werden soll an dieser Stelle nur, dass ein totales Happy End gibt: Gewinner/innen sind die gute Laune, der Mut, etwas Unkonventionelles zu wagen und ein Ziel konsequent zu verfolgen.
Dass die Akteure ausnahmslos tolle schauspielerische Leistungen abliefern, sollte ebenfalls nicht unerwähnt bleiben, obwohl: Überraschend war das nicht.