Straße erinnert an Familie Lion

Die Geschichte der Juden der Stadt Willich wird am 20. April um ein Kapitel erweitert. 22 Angehörige der Familie Lion reisen dazu an.

Foto: Kurt Lübke

Willich. Stets einen guten Ruf hatte in der ehemaligen Gemeinde Willich die jüdische Familie Lion. Aus Neersen kommend, hat die Familie fast 50 Jahre lang in den Häusern Bahnstraße 7-11 gelebt. Sie waren eingebunden und in das gesellschaftliche Leben von Alt-Willich integriert, ihr Engagement für die Freiwillige Feuerwehr und das Willicher Schützenwesen wird noch heute anerkannt.

Foto: Kurt Lübke

Nach 1933 änderte sich das völlig. Die Metzgerei wurde durch die Nationalsozialisten geschlossen. Und den Männern wurde die Möglichkeit, als Viehhändler ihren Lebensunterhalt zu verdienen, durch ein Berufsverbot entzogen. Nach der Pogromnacht 1938 flohen vier Kinder noch rechtzeitig, um in England, Australien, Israel oder den USA eigene Familien zu gründen. Die in Willich verbliebenen Rosette Lion und ihr Neffe Arthur wurde im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und starben dort 1943. Albert Lion und seine Frau Karoline wurden im Dezember 1941 ins Konzentrationslager nach Riga verschleppt und beide dort 1943 ermordet.

Foto: Kurt Lübke

Mittlerweile wurde in allen Stadtteilen, dank der Initiativen von Oberstufenschülern und vor allem durch das Engagement von Ex-Studiendirektor Bernd-Dieter Röhrscheid und Stadt-Archivar Udo Holzenthal, den Opfern des Nazi-Regimes durch 76 Stolpersteine ein Gesicht gegen das Vergessen gegeben. Außerdem hatten Röhrscheid und Holzenthal in einem Buch an die mehr als leidvollen und abrupt geendeten Lebensläufe vieler Deportierten sowie an das neue Leben der Geflüchteten erinnert.

Im Dezember 2012 waren auf der heutigen vorderen Bahnstraße vor dem Bierhaus „Alt Willich“ die ersten vier Stolpersteine für die Großfamilie der Lions verlegt worden, weitere vier kamen im Laufe der Zeit dazu. Mehrmals waren bisher Nachkommen dieser Familie bei diesen Stolpersteinverlegungen nach Willich gekommen, waren bewegt und aufs Neue bestürzt, was ihren Familienangehörigen widerfahren war.

Viele Angehörige werden bald erneut anreisen, denn am Freitag, 20. April, 11 Uhr, wird in feierlicher Form an einem kleinen Wohngebiet direkt neben dem Willicher Friedhof das Straßenschild „Lionstraße“ enthüllt. In unmittelbarer Nähe stehen auf dem Friedhof nach wie vor sechs alte Grabsteine der Lions.

Insgesamt kommen 22 Personen, teilweise sogar über mehrere Tage, sagte gestern Bernd-Dieter Röhrscheid. So werden Peter Lion und Judith Berger, geb. Lion, mit Tochter Ruth (Kinder und Enkel von Hans Lion) aus Australien und Israel, Carol Lion aus New York und Alan Lion aus London (beides Kinder von Ernst Max Lion), Joan Chantrell und Alan Buxton (Tochter und Sohn von Else Buxton, geb. Lion) aus London und Jonathan Rogers mit seinen Söhnen Joshua und Sam aus Berlin und London, Dan Rogers mit Sohn Ben und Miriam Singer, geb. Rogers (Kinder und Enkel von Ruth Rogers, geb. Lion) aus den USA nach Willich kommen. Röhrscheid: „Teilweise sehen sich Familienmitglieder am 20. April zum ersten Mal.“

Im November und Dezember 2014, als der neue Bebauungsplan „Wekeln IX, nördlich Hülsdonkstraße“ aufgelegt worden war, hatte der Hauptausschuss und anschließend der Rat einem Antrag von Röhrscheid und Holzenthal zugestimmt, eine Straßenverbindung dort als „Lionstraße“ zu benennen. Bereits seit längerem gibt es in Erinnerung an ehemals dort wohnende Juden in Schiefbahn die „Kaufmannstraße“ und die „Rübsteckstraße“.

„Natürlich sind die Anwohner auch herzlich eingeladen, zur Enthüllung zu kommen“, sagt Udo Holzenthal. Man werde dann kleinere Spaziergänge — so über den Friedhof oder über den Schützenplatz — unternehmen. Dort in der Nähe befand sich damals die Bahnhofsstraße, hatte Abraham Lion seine Viehweide. Der geachtete Metzger gehörte der Feuerwehrwehr und dem Schützenverein an. Auf der Weide wurde 1927 erstmals ein Schützenzelt aufgestellt — heute befindet sich dort der Schützenplatz.

Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde Abraham Lion 1933 beigesetzt. Als seine Frau Rosetta zehn Jahre später ermordet wurde, nahm davon kaum jemand Notiz: Die 86-Jährige kam am 15. Januar 1943 im Ghetto Theresienstadt ums Leben. Sie starb im Gebäude L 321, in Zimmer 13 — „an Altersschwäche“.