Theater: Ein Stück geht unter die Haut
Texte aus der NS-Zeit wurden an der Europaschule aufgeführt. Einige Szenen spielten draußen.
Willich. „Folgen Sie der Lampe.“ Mit dieser außergewöhnlichen Aufforderung begrüßt Ulrike Brasseler, Lehrerin der Willicher Robert-Schuman-Europaschule, zusammen mit Kollegin Judith Woll die Gäste im Forum der Gesamtschule.
Gerade einmal 40 Zuschauer haben sich eingefunden. Und doch kann das Schild „ausverkauft“ an die Forum-Tür gehängt werden. Denn 40 ist heute Abend die maximale Besucherzahl für das Theaterstück „Doch einen Schmetterling habe ich hier nicht gesehen“ von Lilly Axster. Warum, das wird nach der ersten Szene auf der Bühne schnell klar.
Ein einzelnes kleines Papierboot steht auf der Bühne der Europaschule, Spots beleuchten zwei einzelne, bedrückend wirkende Bilder. Zwei jüngere Schüler liegen rechts und links des Papierschiffchens. Auf dem rechten Bühnenrand sitzt ein älterer Schüler mit einer gelben Sturmlampe. „Die Deutschen müssen näher gekommen sein. Die Kugeln müssen die Beiden getroffen haben, sie müssen ziemlich bald tot gewesen sein“, spricht er mit ruhiger Stimme.
Beim Stichwort „tot“ öffnet sich der Bühnenvorhang und weitere junge Schauspieler in dunklen Kleidern und mit bedrückenden Mienen treten auf. Sie tragen Textpassagen vor, die den Nationalsozialismus betreffen. Mal einzeln, dann alle zusammen oder als kleine Gruppe.
„Wir werden an sie erinnern, an die Kinder und Jugendlichen in Ghettos und Konzentrationslagern. Wir wollen von ihnen sprechen, über sie und auch von uns“, ist es synchron zu hören. Eine kurze Sequenz des Schweigens — und der Laternenträger bittet die Zuschauer, ihm zu folgen. Vom Forum geht es auf den Schulhof hinaus. An verschiedenen, eigens beleuchteten Plätzen auf dem Außengelände der Schule kommt es zu einzelnen kurzen Szenen. Sie alle erzählen von Machtmissbrauch, Vertrauen und Verrat, der Beschaffung von Lebensmitteln sowie der willkürlichen Entscheidung über Leben und Tod.
Nun ist auch klar, warum die Besucherzahl begrenzt ist. Mit einer größeren Gruppe bestünde keine Möglichkeit, dem Stück und seinen Darstellern zu folgen. Denn nicht nur der Schulhof ist Darstellungsort. Über die Mensa geht es ins Oberstufengebäude und von dort ins Forum zurück.
Das auf authentischen Schriftmaterialien von Kindern und Jugendlichen aus der Zeit des Nationalsozialismus geschriebene Stück ist beeindruckend. Keine Kulisse im eigentlichen Sinn, nur wenige Requisiten, junge Darsteller, die die Textpassagen gekonnt vortragen, die Passagen überzeugend darstellen — das Stück geht unter die Haut.