Willich Tippmann erzählt aus ihrem Leben

Renate Tippmann (82) hat mit Hilfe ihrer Tochter Heike Lebenserinnerungen aus Sicht der Kriegs-Generation aufgeschrieben.

Foto: Wolfgang Kaiser

Willich. „Erzähl mehr, mehr. . .“. Dies hatte Renate Tippmann oft von ihren Töchtern Anke und Heike, heute 50 beziehungsweise 54 Jahre alt, gehört. Stundenlang konnten ihr die Töchter fasziniert zuhören, wenn sie liebevoll über ihre Großeltern sprach, über das „Haus im Wald“ im sächsischen Saupersdorf, den Krieg oder über ihre geglückte Flucht in den Westen. Es gab zwar eine Lose-Blatt-Sammlung mit wichtigen Erlebnissen, aber nichts Strukturiertes.

Dies ist jetzt anders: Mit tatkräftiger Unterstützung ihrer älteren Tochter Heike ist das 364-seitige Buch „Mädchen, steh auf!“ entstanden. Das ist erst der erste Band eines interessanten Mutter-Tochter-Projekts. „Sie kann besser schreiben und strukturieren als ich“, erzählt schmunzelnd die mittlerweile 82-jährige Renate Tippmann, die viele Willicher als Lehrerin und als SPD-Politikerin kennen.

Mit-Autorin Heike Kellmann ging an die Arbeit, fand schnell heraus, dass das, was ihre Mutter erlebt hatte, für eine ganze Generation stand, deren Leben sich durch den Zweiten Weltkrieg grundlegend geändert hatte. Also wurde daraus das Buch und kein Werk nur für die eigene Familie.

Tippmann erinnert sich beispielsweise an den Tod ihres Vaters, Rudolf Rammler, von der die Familie Mitte 1945 erfuhr. Wie sich erst viele Jahre herausstellte, hatte ihn bei Kämpfen in Vechta eine Panzergranate getroffen und er war in einer Zeltplane an Ort und Stelle verscharrt worden.

Sie schreibt: „Schlimm war, dass es keine Stelle gab, an der wir unsere Trauer verarbeiten konnten. Mami tat etwas, für das ich ihr heute noch dankbar bin: Sie besorgte, als wir die Nachricht von seinem Tod erhielten, einen Kranz. Ich wurde zum Gärtner geschickt, um Chrysanthemen zu holen. Da wir kein Grab für unseren Vater hatten, legten wir im Schutze der Dunkelheit gemeinsam den Kranz am Kriegerdenkmal im Dorf nieder. . .“

„Am Ende warf dieses Buch für mich mehr Fragen als Antworten auf“, gibt Renate Tippmann zu. Durch das Geschriebene habe sie aber einiges besser verarbeiten können. Auch ihre Trennungsängste waren darunter. Denn nach vielen Strafversetzungen der jungen Lehrerin, sie sich weigerte, in die SED einzutreten, ließ diese nach Versetzungs- und Ausreiseantrag, der im September 1957 genehmigt wurde, ihre Familie im Erzgebirge zurück. Den Antrag hatte sie damit begründet, sie müsse angeblich ihre todkranke Tante in Esslingen am Neckar besuchen.

Renate Tippmann über den Tod ihres Vaters, von dem sie Mitte 1945 erfahren hat

Tippmann schreibt über ihre Kindheit, über das Studentenleben, über die erste Zeit in Willich und über brieflichen Kontakte zu ihrer Mutter, die im Februar 1962 über der Versorgungsengpässe in der DDR schreibt: „Es gibt zwei Sorten von Ware, solche, die es nur mal vorübergehend hier nicht gibt, dazu gehören Waschpulver, Streichhölzer, Butter, Immergut (Kondensmilch), jedes Obst, Schürzen. Und dann die zweite Sorte, die es nicht mehr gibt, bestimmte Gewürze — und vor allem gibt es keinen koffeinfreien Kaffee mehr. “

Die Autorin erfuhr, wie nah neues Leben und der Tod beieinander liegen. Ihre Mutter litt unter Herzbeschwerden. Dafür gab es keine ausreichenden Medikamente. Nach einigen Komplikationen brachte Renate Tippmann am 14. Juni 1962 ihre Tochter Heike zur Welt. Ihrer Mutter Hanny wurde ein Telegramm geschickt, das sie im Krankenhaus erreichte. Am Nachmittag fand man sie tot im Bett, das Telegramm in der Hand. Sie wurde 49 Jahre alt.

Noch viele andere Erinnerungen wurden niedergeschrieben. Band II soll es irgendwann geben. Dann geht es um Dinge wie Familie, Politik und eine schmerzhafte Scheidung.